© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Im Büro zu Hause oder zu Hause ein Büro?
Das Hemdenbügeln entfällt, und es entzerrt den Pendelverkehr: Das „Home-Office“ ist so beliebt wie umstritten
Bernd Rademacher

Montagmorgen: Der Nachbar kommt mit Hemd und Schlips aus dem Haus. Er ärgert sich über den Regen, steigt in sein Auto und quält sich durch den Berufsverkehr zum Arbeitsplatz. Ich schlendere mit der Teetasse in der Hand im Pulli an den Schreibtisch, klappe den Rechner auf und sehe mir den Auftragsstatus an, den mein Chef mir zugemailt hat. Zehn Uhr: Der Nachbar verläßt das Büro, um sich beim Bäcker schnell ein belegtes Brötchen zu kaufen. Ich gehe in die Küche und schmiere mir ein Brot. Mittags: Der Nachbar eilt in die Kantine. Ich halte ein kurzes Nickerchen auf dem Sofa. Fünfzehn Uhr: Der Nachbar tratscht mit Kollegen auf dem Gang. Ich werfe zwischen zwei Aufträgen die Waschmaschine an. Feierabend: Der Nachbar fährt durch die abendliche Rush-hour nach Hause. Ich gehe mit dem Hund Gassi.

Nötig sind Disziplin und zuverlässige Kommunikation

Rund fünf Millionen Beschäftigte arbeiten in Deutschland überwiegend von zu Hause aus. Nochmals etwa halb soviel fast ausschließlich. Manche Unternehmen verzichten auf eine Anwesenheitspflicht, Führungskräfte vertrauen ihren Untergebenen und ermöglichen es, zumindest teilweise von daheim zu arbeiten. Denn: Anwesenheit ist nicht gleich Leistung. In den Büros wird viel Zeit durch Sitzungen und Flurklatsch verplempert, die Konzentration leidet unter Unruhe und nervigen Kollegen. Manchen fällt es schwer, die Bürozeiten mit der Leistungskurve des eigenen Biorhythmus zu synchronisieren: der Kampf mit den zufallenden Augenlidern auf der Frühnachmittagssitzung. Zu Hause arbeitet es sich da unter Umständen effektiver.

Unter Beschäftigten ist das „Home Office“ nicht unumstritten. Die häufigsten Argumente dafür lauten: Der Anfahrtsweg entfällt. Es ist egal, wie man sich kleidet. Man kann zwischendurch Staub saugen oder den Abwasch machen. Es ist ruhiger als im Großraumbüro. Die Atmosphäre ist schöner als ein kalter Firmenkomplex. Niemand zwingt einem Gespräche auf. Es gibt kein Gezicke unter Kollegen. Unterm Strich behaupten die Heimarbeiter, ihre Arbeitsstunden konzentrierter und produktiver zu nutzen als die Kollegen im Büro.

Die häufigsten Contra-Argumente: Ich will nicht, daß mein Zuhause zur Arbeitsstätte wird; Beruf und Privatleben sollen getrennt bleiben. Ich vermisse den menschlichen Kontakt zu Kollegen. Die Gefahr ist groß, nicht mehr abschalten zu können.

Den meisten Chefs fällt es schwer, sich von der traditionellen Residenzpflicht zu verabschieden, der Trend ist im Abflauen. Vor allem die Gewerkschaften sind vom flexiblen Zu-Hause-Büro gar nicht begeistert. Der DGB warnt vor „scheinbar attraktiven oder freien Arbeitsformen“, hinter denen sich „alte Probleme im neuen Gewand“ verbergen würden. So fresse die Arbeit zu Hause viel mehr Freizeit, weil sie sich mit dem Privaten vermische und nicht mehr trennen lasse. Da man permanent online ist, besteht auch ständige Erreichbarkeit über das reguläre Arbeitszeitende hinaus. „Das Home-Office ist eben nicht das bequeme Sofa oder ein lässiges Straßencafé, sondern oft doppelter Streß“, unkt der DBG-Vorstand.

Personalchefs und Beschäftigte sehen das aber oft anders. Viele Zu-Hause-Arbeiter sagen, daß sie für ihre Arbeit deutlich weniger Zeit brauchten als die üblichen acht bis neun Stunden in der Firma. Allerdings erfordert ein erfolgreiches Büro in der eigenen Wohnung ein diszipliniertes Selbstmanagement (was mit morgendlich beherztem Aufstehen beginnt!) und eine zuverlässige Kommunikation. Und: Feierabend ist Feierabend – auch zu Hause.

Spätestens, wenn der nächste Orkan wieder Bäume über Straßen und Schienen geworfen hat, gewinnt die Arbeit von daheim weitere Sympathien.

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