© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Der erneuerte urbane Fluch
Megastädte Asiens und Afrikas: Potential für globale Seuchen
Thorsten Mielke

Stadtgesundheit“ ist in Mittel- und Westeuropa spätestens seit 50 Jahren kein Thema mehr. Sehr im Gegensatz zu Asien und Afrika. Dort lastet der „urbane Fluch“ der Elendsquartiere des „Manchester-Kapitalismus“, die Friedrich Engels 1845 beschrieb, auf den Megastädten dieser Kontinente. UN-Prognosen erwarten bis 2050 eine knappe Milliarde Menschenzuwachs in Chinas Metropolen, in Afrika wird im selben Zeitraum die städtische Bevölkerung um 860 Millionen zunehmen, darunter 200 Millionen Neubürger in den urbanen Zentren Nigerias.

So viele Luftschadstoffe wie 50 Zigaretten täglich

Wie eine das indische Pune und das chinesische Guangzhou (Kanton) vergleichende Studie Kölner Geographen belegt (Universitas, 5/2014), dürften durch diese demographischen Entwicklungen die „enormen Umweltprobleme“, unter denen diese Megastädte heute schon leiden, kaum vorstellbare Ausmaße annehmen. Zur Illustration der gegenwärtigen Malaise genügt den Kölnern ein Detail aus dem statistischen Dickicht der Weltgesundheitsorganisation: Wer in Mumbai (Bombay) lebe, atme täglich so viele Schadstoffe ein wie ein Kettenraucher, der 50 Zigaretten pro Tag konsumiert.

Dabei ist die lebensverkürzende Luftverschmutzung nur eine von vielen Plagen urbaner Existenz. In Pune sei die Gefahr der Trinkwasserkontaminierung sehr hoch, da das überalterte Versorgungssystem Lecks aufweise und Brauchwasser in die Frischwasserleitungen eindringe. Zudem trügen mangelhafte Entsorgungsstrukturen in den Slums, in denen 2,2 der 5,5 Millionen Einwohner Punes hausen, dazu bei, daß die Bevölkerung oft in Kontakt mit Fäkalien komme. Nur in den besseren Wohnvierteln könne man sich Filteranlagen leisten, die das Wasser vor dem Genuß mechanisch und fotochemisch reinigen.

Diese Klientel habe auch Zugang zu dem privaten Gesundheitssektor, dessen Qualitätsstandards im oberen Segment europäische Anforderungen erfüllten. Die erdrückende Masse indischer Stadtbewohner sei hingegen auf die staatliche „Grundversorgung“ angewiesen, deren spärliche Mittel in die gezielte Bekämpfung einzelner Krankheiten (Malaria, Lepra, Pocken, Polio) fließen. Mit der Folge, daß das öffentliche Gesundheitssystem für die rasch wachsende Bevölkerung „in keiner Weise ausreicht“. Zu der „prekären Umweltlast“ trete so die „hohe Krankheitslast“ durch Infektionskrankheiten, aber auch zunehmend durch Herz-Kreislauf-, Krebs- und Diabetes-Erkrankungen, die der moderne Lebensstil bedinge.

Fatale Zustände bedrohen auch Europa und Amerika

Guangzhou (Kanton) mit 12,4 Millionen Einwohnern, in engster Nachbarschaft zu drei weiteren Fünf-Millionen-Zentren im Perlflußdelta, stieg als kapitalistische „Entwicklungszone“ im kommunistischen China seit 1985 zwar zur „Werkbank der Welt“ auf, bezahlte für den wirtschaftlichen Boom aber nicht nur einen hohen ökologischen Preis, sondern auch mit nur rudimentären Gesundheitsinfrastrukturen und einem sozialen Wohlfahrtssystem, das Maos Lehrmeister Friedrich Engels zu aktualisierten Betrachtungen über den „urbanen Fluch“ einlüde.

Die Luftverschmutzung versuche man seit 2007 durch ein Motorradverbot in der Stadt sowie durch Verlagerung von Industriebetrieben an die Peripherie einzudämmen. Doch der Umzug der Fabriken verschiebe die Probleme nur. Bei der Wasserverschmutzung gelängen nicht einmal solche kosmetischen Operationen. Denn Industrie- und Haushaltsabwässer werden auch 2014 größtenteils ungeklärt in den Perl­fluß eingeleitet. Schlechte sanitäre Anlagen und verschmutztes Trinkwasser bedingen daher die Rückkehr „alter“ Infektionskrankheiten (Tuberkulose, Malaria) und fördern die Ausbreitung neuer wie SARS, Vogelgrippe und HIV.

Diese Gesundheitsprobleme asiatischer Megastädte gingen heute schon Europa und Nordamerika an, wie die SARS-Epidemie 2003 bewiesen habe. Zoonosen, das Überspringen der Artengrenze durch Viren, seien in überfüllten Agglomerationen wie Pune oder Guangzhou leichter möglich und würden das Potential für globale Seuchen (Schweinegrippe, Vogelgrippe) bergen. Trotzdem wollen die Kölner Geographen am Prinzip Hoffnung festhalten: Die Herausforderungen zur Verbesserung menschlicher Gesundheit in Megastädten könnten zu bewältigen sein – den Mut zu „kraftzehrenden Reformen“ vorausgesetzt.

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