© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Pioniere des Bewußtseinswechsels
Das Münchner „Kuratorium für Landschaftsschutz“ von 1971 beweist, daß Proteste gegen die brutale Modernisierung unserer Städte nicht nur von links kamen
Claus-M. Wolfschlag

Daß der Einspruch gegen Profitmaximierung nicht immer links sein muß, dokumentiert eine Publikation über das Münchner „Kuratorium für Landschaftsschutz“. Das Buch führt zurück in die frühen siebziger Jahre, als der ungebremste Fortschrittsglaube der Nachkriegsära erste Brüche und Widerstände erfuhr.

Eine ambivalente Rolle nahmen dabei die späten Ausläufer der 68er-Bewegung ein. Einerseits radikalisierte sich hier die Hoffnung auf einen sozialen Fortschritt, andererseits führte der antikapitalistische Impuls auch zu teils unbewußten konservativen Ergebnissen. Altbauviertel, die beispielsweise in Frankfurt und Berlin bereits der Spitzhacke zugedacht waren, blieben teils durch den Widerstand der Hausbesetzerszene der Nachwelt erhalten. Doch auch von konservativer Seite kam es in der Vergangenheit immer wieder zu durchaus folgenreichen Versuchen, sich gegen den Geist des hemmungslosen Profits und Fortschritts aufzulehnen. Ein solcher war das 1971 formierte „Kuratorium für Landschaftsschutz“.

Die Gründung fiel in eine Zeit, als in München gerade die Trabantenstadt Neuperlach und das „Olympische Dorf“ aus dem Boden betoniert wurden. Am idyllischen Tegernsee plante man den Abriß des historischen Schlosses und einen überdimensionierten Flachdach-Schulbau im Bauhaus-Stil. In dieser Situation fanden sich auf Initiative des Mäzens Hans-Joachim Ziersch, der zuvor die Villa des berühmten Jugendstil-Malers Franz von Stuck gerettet hatte, unzufriedene Bürger zusammen. „Die Gründungsmitglieder dieses im besten Wortsinn konservativen Kreises erscheinen aus heutiger Perspektive und unabhängig von ihrer politischen Orientierung als Avantgarde: als eine Gruppe von Bürgern mit Tatkraft und Sachverstand, die bereit ist, für die Bewahrung der über Jahrhunderte entstandenen Kulturlandschaft Oberbayern und gegen die monströsen Neubauprojekte ihrer Zeit einzutreten, und das mit Zähigkeit und unbeeindruckt vom Gegendruck des damaligen politischen Hauptstroms“, so Autor Ulrich Brinkmann.

Durch viel Bürgerprotest und Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern war es dem Kuratorium somit möglich, viele historische Gebäude und Alleen Münchens letztlich zu erhalten. Abbruchbirne und Kettensäge hatten es fortan schwerer, und große Teile des heute vertrauten Münchner Ortsbildes, die schon todgeweiht waren, konnten gerettet werden. Beispiele aus Bogenhausen, der Maxvorstadt und Alt-Schwabing sind in dem Buch mit Fotografien dokumentiert.

Am Beispiel des Kuratoriums wird allerdings auch deutlich, wie sehr bürgerschaftlicher Einfluß vom Engagement herausragender Einzelpersönlichkeiten abhängig ist. Nach dem Tod des Vorsitzenden Ziersch 1995 zerfiel die Organisation und wurde 2005 schließlich aufgelöst. Dabei wären Bewegungen wie diese dringender denn je. Etwas zu optimistisch wertet das Buch nämlich die Kämpfe der siebziger Jahre als generelle Bewußtseinswende und blendet dabei aus, daß auch heute wieder Abrisse, Zersiedelung und unmaßstäbliche Neubauten unser Kulturerbe bedrohen. Urbanisierung, Zuwanderung, globale Immobilien-Investoren und modernistische Architekten tragen nach wie vor dazu bei, daß unsere Welt „immer austauschbarer“ wird.

Ulrich Brinkmann: Mit Bürgersinn wider das Diktat der Ökonomie. Das Kuratorium für Landschaftsschutz, München 2013, Deutscher Kunstverlag, gebunden, 96 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

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