© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Er schichtete Bücher zu Gebirgen auf
Ein liebenswerter konservativer Chaot: Ein Nachruf auf den Journalisten und Verleger Hans Becker von Sothen
Dieter Stein

Der erste Abend einer Frankfurter Buchmesse endete für uns in den vergangenen Jahren stets im Sachsenhausener „Atschel“. Wir fielen dort im Dutzend ein, drängten uns auf langen Bänken und aßen Frankfurter Schnitzel mit Bratkartoffeln und grüner Soße. Dann rollten wir mit Hans Becker von Sothen in einer Tour d’Horizon die Lage auf, der diese urige Äppelwoi-Kaschemme irgendwann ausfindig gemacht hatte.

Ihn ödeten Intrigen an, und er liebte die offene Debatte

Mit Hans Becker von Sothen starb am 26. Juni ein JF-Redakteur der frühen Jahre durch einen Herzinfarkt. Geboren am 27. Januar 1959 in Otterndorf, wuchs er in dieser Kleinstadt bei Cuxhaven auf. Ein Pseudonym, unter dem er später Texte für die JF verfaßte, verwies auf die Herkunft seiner Familie aus dem katholischen Eichsfeld. In Göttingen studierte er Jura und Geschichte. Bei seinem Corps Hildeso-Guestphalia kreuzte er verbal die Klingen mit seinem Bundesbruder, dem linken Historiker Wolfgang Wippermann. Wir lernten uns vor zwanzig Jahren kennen. Seine ersten Beiträge erschienen 1994 in der JF, während er in Göttingen eine Universitätsbuchhandlung betrieb. Als ein Dienstleister ausfiel, organisierte er ein Dreivierteljahr über seine Buchhandlung den JF-Buchdienst, weshalb Leser plötzlich an ein Postfach in Göttingen schreiben mußten. Seine Buchhandlung mußte er jedoch weniger später aufgeben, und so wurde unser Buchdienst ab Sommer 1995 für einige Zeit über einen bayerischen Kleinverlag abgewickelt, bis er in Berlin seinen endgültigen Sitz erhielt.

Nach Auflösung seiner Buchhandlung fing Sothen als Redakteur bei der JF an. Er blieb zwei Jahre, erlebte den Umzug an den Hohenzollerndamm mit und wirkte vor allem als akribischer Schlußredakteur und Verantwortlicher für die Forum-Seite. Es waren Zeiten des Umbruchs und der Krise für die JF. Ende 1998 wechselte er für mehrere Jahre zur Wochenzeitung Das Ostpreußenblatt (heute Preußische Allgemeine) nach Hamburg.

Caspar von Schrenck- Notzing gewann ihn 2001 als Geschäftsführer für seine frischgegründete gemeinnützige Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF) in München. In dieser Zeit erarbeitete von Sothen eine Untersuchung über den konservativen Publizisten Hans Zehrer, die 2005 in einem Sammelband zum deutschen Nachkriegskonservatismus bei Duncker & Humblot erschien.

Es folgte sein letzter beruflicher Wechsel zum Leopold Stocker Verlag nach Graz. Hier widmete er sich dem Aufbau des auf militär- und zeitgeschichtliche Themen spezialisierten Ares-Verlages, dessen Programm er seinen Stempel aufdrückte. Dort veröffentlichte er 2013 auch sein eigenes Werk „Bild-Legenden. Fotos machen Politik. Fälschungen, Fakes, Manipulationen“. Als er das Buch am 27. Januar dieses Jahres in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin vorstellte, begegneten wir uns das letzte Mal. Den Aufbau der Bibliothek hat er begeistert begleitet und unterstützte sie mit zahlreichen Buchspenden aus seinem privaten Fundus.

Hans Becker von Sothen war nämlich ein Büchernarr, ein Bibliomane. Er häufte Bücher und Dokumente an. Nie war ein Schreibtisch bei der JF mit höheren Bergen von Papier eingerahmt als seiner. Als ich ihm bei einem Umzug half und seine alte Wohnung betrat, sichtete ich buchstäblich Tonnen von Büchern und Berge von Papieren, die er in seiner Sammelwut angehäuft hatte. Und es war seine Tragik, daß ihm neben dem Sammeln das Kanalisieren des Materials immer schwerer gelang.

Er war von altertümlicher Höflichkeit, er begrüßte Damen mit Handkuß und tiefer Verbeugung. Sosehr er seinen Adel nicht verbergen konnte, war ihm Dünkel und generell materielles Denken zuwider. Er liebte das Versacken in abgerockten Spelunken bei uferlosen Gesprächen, für Autorentreffen zu JF-Zeiten riß er am Savignyplatz die Alt-68er-Kneipe „Dicke Wirtin“ auf, wo wir einst nach Redaktionsschluß regelmäßig einkehrten. Seine Verbindungen zu politischen Köpfen jeder Couleur waren Legion. Er hatte die marxistischen Klassiker gelesen und liebte es, mit Linksradikalen zu streiten. Niemand kannte sich im Geflecht linker Sekten und K-Gruppen aus wie er. Ihn ödeten Intrigen ebenso an, wie er Gegnern Respekt zollte.

Er sprach fließend Französisch und übersetzte anfangs regelmäßig die Texte von Alain de Benoist. Mit Sothen zusammen fuhr ich Ende 1997 auf einen Kongreß des GRECE nach Paris, wo wir in einem absurd futuristischen Billig-Hotel abstiegen. Ohne seine Dolmetscherdienste wäre ich aufgeschmissen gewesen.

Sein besonderes Interesse galt der Außen- und Geopolitik, internationalen Netzwerken, machtvollen Zirkeln der Weltpolitik. Vielleicht wäre er gerne in den Auswärtigen Dienst gegangen, dessen europäischen Ableger er seinen letzten Beitrag in der JUNGEN FREIHEIT vom 25. April (JF 18/14) widmete.

Letzte Bilder zeigen ihn fröhlich, ein Bart umkräuselt sein rundes Kinn, durch die kleinen Gläser seiner Nickelbrille lachen die Augen eines heiteren Menschen. Er hat gerne gegessen, getrunken, diskutiert und gelacht. Wir werden ihn sehr vermissen.

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