© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Pankraz,
S. Pfeffer und die Spur des Kitschs

Ein ziemlich aus der Mode gekommener Begriff erfährt unerwartete Renaissance: der „Kitsch“. Man spricht von Sozio-Kitsch, Revolutions-Kitsch, vor allem von Öko-Kitsch. Die Natur, so heißt es, werde im Namen der Ökologie auf fast schon kriminelle Weise verkitscht. Alles, was angeblich „reine Natur“ sei, erhalte heute in den Medien eine Art Heiligenschein. Natur und Kultur würden in schärfster Weise voneinander abgehoben; die Natur sei „das Gute“, die Kultur „das Böse“ – Kitsch, schlimmster Kitsch sei das

Im Kasseler Fridericianum läuft – kuratiert von Susanne Pfeffer – zur Zeit die Ausstellung „nature after nature“ (neudeutsch für „die Natur nach der Natur“), in der einem der neue Trend drastisch vor Augen geführt wird. Es gebe nicht die geringste Differenz zwischen Natur und Kultur, erfährt man. Denn buchstäblich alles sei Natur, unsere ganze Umgebung und auch wir selbst inklusive all unserer technischen Hervorbringungen. So sieht man denn in Kassel irgendwelche Splitter aus Fiberglas und Kunstharz herumliegen, allerlei Straßenmüll, durchnäßte Teerinseln, mit Latex gefüllte Kissen aus nachgiebiger Plastikplane.

Bänglich fragt sich der Besucher: Darf man sich wirklich nicht mehr an den vielen Naturfilmen im Fernsehen aufrichten und gegen Ökosünden wappnen, auch wenn diese nicht das geringste mehr mit dem röhrenden Hirsch, dem bekannten Symbol des klassischen Kitsches, zu tun haben? Und was ist mit den vielen Heldenerzählungen aus alten 68er-Zeiten, all den „Narrativen“ über triumphale Häuserbesetzungen, Go-ins und Sit-ins? Ist auch das nichts weiter als Kitsch, Revolutions-Kitsch, mit dem sich die Veteranen von einst lächerlich schmücken?

Möglich wäre ja auch, daß der Begriff „Kitsch“ ein Unwort ist, das automatisch auf falsche Pfade führt, auch damals schon auf falsche Fährten führte, Ende des 19. Jahrhunderts, als es zum erstenmal gebraucht wurde. Andere Sprachen haben kein Pendant dafür, in England, Frankreich und anderswo wird es als unübersetzbares Fremdwort behandelt, das man in der Originalform beläßt („le kitsch“), wenn die thematisierte, vielleicht nicht unkomplizierte Sache einmal kurz und knapp auf den Nenner gebracht werden soll.

Zu glauben, als Kitsch würden ganz allgemein erzbanale, billige, verächtliche Phänomene bezeichnet, wäre zu kurz gesprungen. Auch die oft gehörte Behauptung, Kitsch sei nichts als tölpelhafte Nachahmung erstklassiger, hochgelungener Kunstwerke oder Sprachspiele, verfehlt den Kern der Sache. Dieser liegt vielmehr darin, daß dem Kitsch, wie Otto Ferdi-nand Best 1978 in seinem Buch „Das verbotene Glück. Kitsch und Freiheit in der deutschen Literatur“ schrieb, „ein eminentes Sehnsuchtsmoment innewohnt“. Kitsch sei der Hebel zur Herbeiführung elaborierten Glücklichseins auf zwar kurzem, aber anspruchsvollem Wege.

Der dem Kitsch Verfallene ist also nicht zufrieden mit einer Sehnsuchtserfüllung auf niedrigstem Niveau („Wein, Weib und Gesang“), er sehnt sich nach Höherem, ist aber nicht in der Lage, dieses Höhere selbst zu erschaffen oder auch nur in seiner ganzen Dimension zu erkennen und anzuerkennen. Er „zieht es zu sich herunter“, macht es gleichsam wohnlich und gemütlich. Er ahmt Exzellenz nach, aber heraus kommt bestenfalls sogenannte Volkskunst.

Daran ist an sich nichts Verächtliches, es entspricht sogar dem notwendigen Wesen sozialer Ordnung. Es gibt oben und unten, die wenigen und die vielen, und: „Die Welt hat Bestand nur wegen der vielen“, sagt Paul Valéry, „aber sie lohnt sich nur wegen der einzelnen und ihrer herausragenden Leistung.“ Daß sich die vielen an der Exzellenz und der herausragenden Leistung der wenigen einzelnen orientieren und sie nachahmen, ist ein völlig natürlicher Reflex. Niemand kann im Ernst etwas dagegen sagen, selbst wenn sich im Prozeß der Nachahmung das Qualitätsniveau senkt.

So waren es denn auch nicht etwa die Exzellenzen selbst, die sich gegen ihre Nachahmer wehrten und dabei den Begriff des Kitsches prägten, sondern es war der Kunstkritiker Max Bernstein im Jahre 1878. Damals veranstaltete der Münchner Kunsthandel eine monumentale Schau mit historischen Schlachtenbildern im Stile Pilotys darunter auch das Gemälde Franz Adams „Bosnische berittene Insurgenten“, und Bernstein dichtete dazu folgendes satirisches Epigramm: „Bosnisch Getümmel! Bosnische Schimmel! / Bosnische Männer auf ‘itsch’ und ‘ritsch’! / Bosnische Berge! Bosnischer Himmel! / Alles echter bosnischer ‘Kitsch’.“

Am Ursprung war der Kitsch also ein Konglomerat aus bosnischen Insurgenten und wiehernden Schimmeln. Die Schimmel verwandelten sich später in röhrende Hirsche, die Insurgenten in Gartenzwerge, und heute werden nun – im Zuge der Technifizierung und Vermassung sämtlicher Lebensbereiche – aus röhrenden Hirschen geknechtete Hühner in der Legebatterie und aus Gartenzwergen smarte junge Herren aus dem Silicon Valley. Niemand sollte sich darüber wundern, denn komisch waren und sind sie eben alle, bosnische Insurgenten, Gartenzwerge und Silicon-Valley-Aktivisten gleichermaßen.

Wie aber steht es mit der Kuratorin Susanne Pfeffer und ihrer Kasseler Ausstellung „nature after nature“, mit all dem dort gezeigten Blech- und Latexgerümpel? Glaubt Pfeffer wirklich, daß sie dem neuen Öko-Kitsch entkommen kann, indem sie das Gerümpel einfach zur „wahren“ Natur erklärt und das Gegenwort „Kultur“ gänzlich aus dem Duden streicht? Dann irrt sie sich wohl.

Die Natur ist zwar kein Kindergarten (eher ein Schlachthaus der Völker, Arten und Sterne), aber sie ist auch kein scheußlicher Müllplatz. Sie ist „von Natur aus“ schön; sogar die Überreste ihrer fürchterlichsten Eruptionen, Schluchten und Hochgebirge, erregen unseren ästhetischen Sinn, und der stammt schließlich ebenfalls aus der Natur. Schon der alte Horaz wußte es: „Die Natur läßt sich auch mit der Mistgabel nicht verjagen.“

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