© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Das Schwein zur Sau gemacht
Ökologische Landwirtschaft: Wie aus Europas größtem Fleischfabrikanten ein veritabler Biobauer wurde
Paul Leonhard

Die Zeiten, als Karl Ludwig Schweisfurth auf industrielle Fleischverarbeitung setzte und seine zum Unternehmen gehörenden zehn Fabriken mit 5.500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden DM wöchentlich 25.000 Schweine sowie 5.000 Rinder verarbeiteten, sind lange vorbei. Heute gilt der 83jährige Unternehmer als Pionier auf dem Gebiet der ökologischen Lebensmittelherstellung.

Vor 30 Jahren hatte Schweisfurth einen Schlußstrich gezogen. Seine Söhne wollten den hochmodernen Familienbetrieb nicht übernehmen und so wurde die Herta Artland Dörfler GmbH & Co. KG, Europas größtes fleischverarbeitendes Unternehmen, 1985 an Nestlé verkauft. Schweisfurth selbst verweist auf die kritischen Diskussionen mit seinen heranwachsenden Kindern, während der in ihm damals die Überlegung reifte, daß es falsch ist, „die bäuerliche Tierhaltung in eine industrielle Produktion zu verwandeln, mit dem Ziel, die Tiere auf immer höhere Leistungen zu trimmen“.

Wie ein Schlag gegen den Solarplexus

Schockiert war der ehemalige Präsident der Europäischen Fleischwarenindustrie, als er nach dem Kälberhormonskandal mit seinem Management erstmalig selbst einen Schweinemastbetrieb besuchte. „Die Wucht der Bilder und Gerüche schlug mir in den Solarplexus“, erinnert sich Schweisfurth: „Wir haben das Schwein gründlich zur Sau gemacht.“ Der Unternehmer entwickelte eine neue Vision: die einer nachhaltigen Agrar- und Ernährungskultur, ökologisch, handwerklich und regional. Seit 1986 wird sie auf dem Gut Herrmannsdorf bei Glonn südöstlich von München umgesetzt.

Es ist die Geburtsstunde der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, die heute über Stallungen, Warmfleischmetzgerei, Natursauerteig-Bäckerei, Molkerei/Käserei, Brauerei, Hofladen, Biergarten und Gasthof verfügen. Inzwischen setzt hier seit 18 Jahren Karl Schweisfurth als Geschäftsführer das von seinem Vater entwickelte Konzept einer „symbiotischen Landwirtschaft“ um.

Lebensmittel werden in den Herrmannsdorfer Landwerkstätten mit Bindestrich geschrieben. So will man verdeutlichen, daß es sich um Mittel zum Leben handelt, die nur mit ökologischer Wirtschaftsweise zu erzielen sind. Gentechnik, synthetische Düngemittel und Pestizide, Monokultur und Massentierhaltung sind tabu. Es wird eine Landwirtschaft betrieben, die gesundes Bodenleben und Bodenfruchtbarkeit fördert, das Grundwasser klar und sauber hält, gesunde und vitale Pflanzen erzeugt und die Tiere so hält und ernährt, wie es sich nach den Geboten von Vernunft und Ethik gehört.

„Umdenken heißt besser essen“, sagt Karl Ludwig Schweisfurth, der unter dem Titel „Der Metzger, der kein Fleisch mehr ißt ...“ gerade ein Buch veröffentlicht hat. Natürlich geht der Buchtitel noch, dann kleiner gedruckt, weiter: „...wenn er nicht genau weiß, wo es herkommt und wie das Tier gelebt hat!“

Bei Ochsenbauer Abinger, einem von rund 70 ökologisch wirtschaftenden Bauern und Herstellern in der Nachbarschaft, weiß das Karl Ludwig Schweisfurth ganz genau. Dessen hundert Ochsen fressen Gras, Getreide oder Mais aus eigenem Anbau, saufen Wasser aus der eigenen Quelle, und nichts ist im Spiel, was das Wachstum der Tiere beschleunigt. Dafür sind die Tiere immer in Bewegung, im Winter im Laufstall und im Sommer auf der Weide. Nach dreieinhalb Jahren liefern sie tiefrotes Fleisch mit schöner Fettäderchen-Marmorierung.

Auch die Kälber von Anton Daxenbichtler ernähren sich von Natur pur: Vollmilch, Gras und Heu. Über 300 Mutterschafe verfügt Günter Worel, der seine Herde von Weide zu Weide führt. Getreide, Bohnen, Erbsen, Gras und Heu stehen auf dem Speiseplan der Schwäbisch-Hällischen Schweine, einer alten Landrasse, auf die die Biobauern wegen ihrer Robustheit, guten Muttereigenschaften und ausgesprochen hochwertigen Fleischqualität setzen. Von WWW-Schweinen sprechen die Schweisfurths: Weide, Wühlen, Würmer.

Ohne die Erlöse aus dem Verkauf seines Fleischverarbeitungsimperiums hätte das Gut sicher anfangs nicht überleben können. Zu viele Fehler wurden gemacht, zuviel Wissen um die Natur war verschütt gegangen. Heute schreiben die Herrmannsdorfer Landwerkstätten mit ihren 120 Beschäftigten schwarze Zahlen. Der Jahresumsatz liegt bei 15 Millionen Euro.

„Die Qualität des Essens ist der Gradmesser für die Wertschätzung, die der Mensch sich selber schenkt.“ So lautet einer der Grundsätze in den Herrmannsdorfer Landwerkstätten. Gutes Essen schenke die kleinen alltäglichen Höhepunkte, die Zeremonie einer Mahlzeit kurble den Motor der Lebenslust an und der ganze Mensch bleibe dabei gesund.

Passend dazu preist die Herrmannsdorfer Hauszeitung regelmäßig vergessene Rezepte an. Die aktuelle Ausgabe empfiehlt Allgäuer Rahmkäschtle und dazu französisches Baguette und einen 2013er Merlot Osteria aus Venetien. Außerdem erfahren die Leser alles über „Neue Steaks und die Kunst, sie gut zu braten“, aber auch über den erfolgten Weideauftrieb der Schweine, Hühner, Rinder. Ganz im Sinne von Schweisfurth senior, der sich die Naturforschung zur Altersaufgabe gemacht hat. Auf seinem „Lehrstuhl“ sitzend, betrachtet er, wie buntscheckige Schweine und altrassige Hühner als „Lebewesen verschiedener Arten zum gegenseitigen Nutzen“ miteinander zurechtkommen. Ein beinahe allegorisches Schauspiel.

Karl Ludwig Schweisfurth: Der Metzger, der kein Fleisch mehr ißt, Oekom Verlag, München 2014, gebunden, 208 Seiten, 19,95 Euro

www.herrmannsdorfer.de

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