© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Razzien gegen den Freiheitsdrang
Italien: In Rom wächst die Sorge vor Unabhängigkeitsreferenden und Selbstbestimmungsverlangen
Reinhard Liesing

Wie unzählige Male zuvor schon „zur Verteidigung der Einheit des Vaterlandes Italien“ rückte die Bozner Staatsanwaltschaft aus. Begleitet von Männern der ROS (Raggruppamento Operativo Speciale), einer Sondereinheit der Carabinieri zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Am Sitz der Partei Süd-Tiroler Freiheit (STF) beschlagnahmten sie Computerdateien und Unterlagen. Der vorgegebene Grund für die staatsanwaltschaftliche Ermittlung und das auf Abschreckung zielende Einschreiten der dem Militär unterstehenden kasernierten Polizeitruppe: Verdacht der Unterschlagung und Manipulation. Im Spätsonner 2013 hatte die STF mehr als 400.000 Briefe verschickt und dabei den für den Versand von Wahlwerbung beanspruchten üblichen vergünstigten Tarif von 0,04 Euro pro Briefsendung entrichtet. In den Briefen befanden sich Wahlkarten zur Teilnahme an dem von der STF im Herbst 2013 initiierten und durchgeführten Selbstbestimmungsreferendum für Südtirol. Knapp ein Jahr später wirft die Staatsanwaltschaft der Partei neben „Mißbrauch der Posttarife“ die „Manipulation des Abstimmungsergebnisses“ vor.

Absurde Vorwürfe. Denn die Unterlagen für das Selbstbestimmungs-referendum wurden vor der Südtiroler Landtagswahl verschickt, die im Oktober 2013 stattfand. In der plausiblen Absicht, die Selbstbestimmungsfrage zu einem zentralen Wahlkampfthema zu erheben, worauf die STF in allen Stellungnahmen unmißverständlich hingewiesen hatte. Die Briefe wurden von der Postverwaltung vorab begutachtet und ausdrücklich genehmigt. Zusätzlich waren sie als Wahlwerbung deklariert. Wäre dies nicht rechtens gewesen, hätte die Bozner Staatsanwaltschaft bereits damals umgehend alle Briefe beschlagnahmt.

Auch die Lega Nord will ein Referendum abhalten

Absurd auch der Manipulationsvorwurf: Selbstverständlich war die Abstimmung geheim, alle an die STF als Veranstalter zurückgelangten Briefe sind getrennt von den Wahlkarten ausgezählt worden, so daß die Absender nicht rückverfolgbar waren. Die Auszählung fand öffentlich, zudem im Beisein von Journalisten, statt, die somit die Wahrhaftigkeit der befolgten Abstimmungsmodalitäten bezeugen können.

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, welches in ein Strafverfahren gegen eine Partei mündet, geschieht nicht zufällig, sondern stellt einen politisch motivierten Schlag gegen die STF mit dem Ziel dar, das von ihr nachdrücklich ins öffentliche Bewußtsein gerückte Selbstbestimmungsbegehr – an dem 61.189 Wahlberechtigte aus der deutschen und aus der ladinischen Volksgruppe teilnahmen, von denen 56.395 für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts votierten – nachträglich zu kriminalisieren. Es dürfte sich nicht um ein aus eigenem Antrieb des leitenden Staatsanwalts Guido Rispoli heraus eingeleitetes Vorgehen gehandelt haben, sondern auf einen Wink aus Rom hin geschehen sein. Dort ist die politische Klasse mehr als besorgt über Selbstbestimmungsbewegungen im Land.

Entsprechend fand die Razzia vier Tage nach dem mehrheitlichen Beschluß des Regionalrats von Venetien statt, für das Veneto ein formelles Selbstbestimmungsreferendum anzusetzen. Dort hatte im Frühjahr in einem nichtverbindlichen Online-Referendum die überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit Venetiens votiert (JF 14/14). Im Anschluß setzte die Staatsanwaltschaft in Brescia kurzerhand unter dem Vorwurf des „geplanten bewaffneten Umsturzes und der Sezession“ führende Funktionäre der Unabhängigkeitsgruppen Raixe Venete, Liga Veneta, Governo Veneto und Veneta Nasion fest und leitete Gerichtsverfahren gegen sie ein. Davon unbeeindruckt ergriff in unmittelbarer Nachbarschaft zum Veneto Lega-Nord-Chef Matteo Salvini die Initiative für „ein offizielles Unabhängigkeitsreferendum“ in der Lombardei; es soll am 18. September stattfinden, dem Tag, an dem die Schotten per Referendum über ihre Souveränität entscheiden.

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