© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/14 / 04. Juli 2014

Ein Mann will nach oben
Große Koalition: Hinter den Kulissen schmiedet Vizekanzler Sigmar Gabriel längst ein Bündnis mit Grünen und Linkspartei
Paul Rosen

Die Welt des Sigmar Gabriel ist einfach gestrickt und besteht aus nur einem Ziel: Er will Bundeskanzler werden. Dem stehen allerdings hohe Hürden im Weg. Die Umfragen für die SPD sind schlecht. 27 Prozent werden ihr gegeben, genausoviel wie bei der Europawahl. Damit hinkt die SPD derzeit hoffnungslos der bei 40 Prozent notierten Union hinterher. Selbst mit dem bewährten grünen Bündnispartner reicht es nicht für eine Mehrheit. Gabriels Plan ist klar: Ein Bündnis mit der Linkspartei soll die fehlenden Stimmen im Bundestag bringen.

Der SPD-Chef ist zwar ein Spielertyp und zu schnellen Wendungen fähig. Aber zugleich verfolgt er zielstrebig das Projekt, Kanzler einer Drei-Parteien-Koalition zu werden. Es begann auf dem Leipziger Parteitag im vergangenen Jahr, als er sich trotz Großer Koalition mit der CDU/CSU von den Delegierten die Option beschließen ließ, auch andere Konstellationen als das Bündnis mit der Union zu eruieren. Alles natürlich mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 – bei Bedarf aber auch früher.

Zwar hat die Ukraine-Krise einen Keil in die rot-rot-grünen Bündnisüberlegungen getrieben, weil die Linke sehr stark die Moskauer Karte spielt. Zuvor hatte es schon Differenzen gegeben, weil Linkspartei-Chef Bernd Riexinger Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich ablehnte. In jüngster Zeit sind aber hier Aufweichungstendenzen erkennbar. Mit Abflauen der Ukraine-Krise konnte Gabriel riskieren, eine weitere Wegmarke zu setzen. Anfang Juni traf er sich mit der Linken-Führung in der Brandenburger Landesvertretung in Berlin. In Brandenburg regieren SPD und Linke einträchtig zusammen. Die Partei nimmt die Aktionen ihres Chefs kritiklos hin: „Ich finde es gut, daß der Parteivorsitzende unseren Parteitagsbeschluß mit Leben erfüllt“, befand etwa der Bundestagsabgeordnete Carsten Sieling, der zum linken Parteiflügel gehört. Auch SPD-Vize Ralf Stegner findet „nichts Spektakuläres, sich mit Vertretern aller demokratischen Oppositionsparteien zu treffen. Neu ist vielleicht, daß sich das jetzt normalisiert.“ Von den Grünen, die sich allerdings auch die schwarz-grüne Option offenhalten wollen, kommen ebenfalls zustimmende Signale: „Es ist gut, wenn die SPD den Schutzzaun, den sie selbst um die Linkspartei gezogen hat, endlich wegnimmt“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter. Andererseits hält Parteichef Cem Özdemir ein Bündnis mit den Linken für „nur sehr schwer vorstellbar“.

Parallel zu der langsam, aber zielstrebig erfolgenden Öffnung der SPD zur Linken legte Gabriel in der Berliner Koalition mit der Union ein geradezu erstaunliches Tempo vor. Die Rentenreform ist durch, der Mindestlohn kommt in dieser Woche. Auch die komplizierte Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist abgeschlossen. Änderungen am Staatsbürgerschaftsrecht sind fertig. Abgesehen von Kleinigkeiten hat die Koalition ihr Arbeitsprogramm für die eigentlich bis 2017 reichende Legislaturperiode erfüllt. Ab 2015 müßte in Berlin die große Langeweile ausbrechen – es sei denn, Gabriel würde die Karten mischen und das rot-rot-grüne Spiel eröffnen.

Der Weg zu diesem Bündnis soll über die Länder erfolgen. Die Landtagswahl am 31. August in Sachsen dürfte noch keine Möglichkeit für das neue Politik-Modell bieten. Zu schwach ist dort die SPD. Aber in Brandenburg soll nach der Wahl am 14. September das rot-rote Bündnis fortgesetzt werden, und in Thüringen, wo am selben Tag gewählt wird, könnte ein rot-rot-grünes Bündnis die bisherige Große Koalition ablösen. Auf dem Weg zum rot-rot-grünen Bündnis auf Bundesebene wäre Thüringen ein wichtiger Schritt. Dort könnte die SPD mit Bodo Ramelow einen Linken-Politiker zum Ministerpräsidenten mitwählen.

Die CDU wird eingekreist: In den Ländern setzt die SPD auf Rot-Grün – wenn es sich anbietet unter Einbeziehung der Linken. Und auf europäischer Ebene macht sich Gabriel als Schattenkanzler auf den Weg. Bei einem Treffen führender sozialistischer Politiker Europas in Paris wurde eine Lockerung des Stabilitätspakts, der die Südländer vom exzessiven Schuldenmachen abhalten soll, vereinbart. Der sich abzeichnende Schuldenkurs dient natürlich nur einem Zweck: Das weitere Wachstum von Rechtsparteien soll verhindert werden, und die Wirtschaft muß in Gang kommen: „Wir werden Europa zerstören, wenn es uns nicht gelingt, wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen“, so Gabriel.

Merkel muß dagegenhalten. Sie steht bei den Wählern im Wort, neue Verschuldungsorgien zu verhindern und die Haftung zu begrenzen. Formelkompromisse können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Große Koalition nicht wegen innenpolitischer Gegensätze in die Krise rutschen könnte, sondern wegen Europa. Deshalb hat der Disput zwischen Merkel und Gabriel um die Schuldenpolitik das Zeug zur Koalitionskrise mit Vertrauensfrage oder konstruktivem Mißtrauensvotum. Eine knappe Mehrheit hätte Rot-Rot-Grün schon jetzt im Bundestag. Sie könnte zur Abwahl von Merkel mit nachfolgenden Neuwahlen reichen. Läuft alles nach Gabriels Plan, ist die Kanzlerschaft Merkels im Frühjahr 2015 Geschichte.

Foto: Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel im Bundestag: Schon Anfang 2015 könnte Merkels Kanzlerschaft Geschichte sein

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