© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Ein Rotationssystem im EZB-Rat schmälert Deutschlands Einfluß
Selbstkastration
Christian Schwießelmann

Die Finanzkrise bedroht Italien. Sofort schnüren Europas Politiker ein neues Rettungspaket. Der EZB-Rat tagt und beschließt, marode Staatsanleihen aufzukaufen. Fast alle Schuldnerländer dürfen abstimmen, nur Bundesbankchef Jens Weidmann nicht, dessen Land zu 19 Prozent Eigentümer und zu 26 Prozent Teilhafter des EZB-Systems ist.

Was heute wie ein Alptraum des deutschen Steuerzahlers wirkt, könnte 2015 bittere Realität werden. Dann tritt der baltische Zwergstaat Litauen der angeschlagenen Euro-Zone bei und setzt am großen Ratstisch im obersten Stockwerk des Frankfurter Eurotowers ein Rotationsverfahren in Gang, das Ende 2002 in der EZB einstimmig beschlossen wurde und ab dem 19. Mitgliedsstaat greift. Dem promovierten Volkswirt Weidmann mit einem Jahresgehalt von fast 400.000 Euro droht das Schicksal, alle fünf Monate nur widersprechen und am nächsten Morgen in der FAZ lesen zu dürfen, wie der ehemalige Vizepräsident von Goldman Sachs, Mario Draghi, deutsches Sparvermögen mit immer knalligeren Schüssen aus seiner „Dicken Bertha“ verpulvert.

Dieses Schicksal ist selbstverschuldet. Auch die deutschen Ex-EZB-Vertreter – der spätere Goldman-Sachs-Berater Otmar Issing und Bundesbankchef Ernst Welteke – stimmten dem Rotationsverfahren nach Vorbild der US-Notenbank zu. Künftig werden die Notenbankpräsidenten entsprechend ihrer Wirtschaftskraft in zwei Gruppen eingeteilt. Der ersten gehören Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande an, sie haben vier Stimmen im EZB-Rat; jeder Notenbankchef verliert alle fünf Monate sein Stimmrecht. Die Chefs der 14 restlichen Länder müssen mit elf Stimmen noch häufiger verzichten. Lediglich die Direktoren behalten ihre sechs dauerhaften Mandate. Die Bundesbank hat sich damit im EZB-Rat selbst kastriert. Ohne Not. Oder wie es der Mustereuropäer Wolfgang Schäuble kommentierte: Die EZB sei europäischen, nicht nationalen Interessen verpflichtet.

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