© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

In schwerer See
Abhöraffäre: Unbekannte haben die polnischen Eliten bei politischen Mauscheleien in Warschauer Edelrestaurants ausgespäht / Die Regierung von Tusk wackelt
Christian Rudolf

Es ist nicht der erste Abhörskandal im modernen Polen. Aber, und das ist heute schon absehbar, der von seinen Ausmaßen her bei weitem gefährlichste und kompromittierendste. Im September 2006 landeten Fernsehjournalisten einen Coup: Mitten in den Koalitionsverhandlungen um eine Regierungsumbildung ließen sie mit versteckter Kamera aufzeichnen, wie die PiS mit dem Versprechen von Posten versuchte, Abgeordnete der Samoobrona in die eigenen Reihen zu ziehen. Die Gespräche wurden auf TVN gesendet, PiS-Chef Jarosław Kaczyński geriet in Erklärungsnot, und die „Bandaffäre“, wie sie in Polen genannt wird, verzögerte die Regierungsneubildung um Monate.

Einer forderte damals lautstark Kaczyńskis Kopf und die Selbstauflösung des Sejm: der heutige Ministerpräsident Donald Tusk. Auf den prasselt derzeit ein Hagel von Rücktrittsforderungen ein, und er weiß nicht, wo er Schutz suchen soll: Sogar der Staatschef und Parteifreund in der Bürgerplattform (PO), Bronisław Komorowski, legt seiner Regierung den Rücktritt nahe.

Mehrere Minister sowie Beamte und Geschäftsleute sind bei vertraulichen Gesprächen über Dinge abgehört worden (JF 26/14), bei denen man unbefugte Zuhörer nicht gebrauchen kann: politische Abmachungen unter Bruch der Verfassung, Vorteilsnahme im Amt, Ausnutzung informeller Immunität.

Kellner als Tonmeister im VIP-Séparée

Betroffen: Innenminister, Außenminister, Notenbankchef sowie die heute nicht mehr amtierenden Minister für Finanzen und Verkehr sowie der ehemalige Regierungssprecher. Aber anders als in der Affäre von vor knapp acht Jahren liegen die Auftraggeber im dunkeln. Das Magazin Wprost, das die Aufnahmen zugespielt bekam und mit ersten Veröffentlichungen in Ton und Abschrift das politische Warschau in schwere See brachte, legte kürzlich mit drastischen Aussagen des Außenministers nach. „Das polnisch-amerikanische Bündnis ist nichts wert. Kompletter Bullshit“, soll Radosław Sikorski dem ehemaligen Finanzminister Jacek Rostowski gesagt haben. Im Gegenteil sei es „schädlich“, weil es ein falsches Sicherheitsgefühl schaffe. „Wir werden uns einen Konflikt mit Deutschland, mit Rußland einhandeln, und werden behaupten, das alles sei super, weil wir den Amerikanern einen Gefallen getan haben. Verlierer. Völlige Verlierer.“ Nach Angaben von Wprost soll das Gespräch Ende Januar oder Anfang Februar mitgeschnitten worden sein.

„Die Regierung ist von einer organisierten Verbrechergruppe angegriffen worden“, übte sich Sikorski in Vorwärtsverteidigung. Er wisse noch nicht, wer hinter den Abhöraktionen stecke. Nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes ABW wie der Staatsanwaltschaft stünde nur soviel inzwischen fest: Kellner hätten aus den VIP-Séparées dreier Warschauer Edel-Restaurants, die von Politikern frequentiert werden, gleichsam Tonstudios gemacht und die Aufnahmen, deren älteste nach bisherigen Erkenntnissen vom Juli 2013 stammen, interessierten Geschäftsleuten verkauft.

„Die Regierung ist Geisel dunkler Kräfte“

Die Kellner sind bekannt – doch wer sind die Köche? Die Behörden verfolgen mehrere Hypothesen, eine davon geht von der Beteiligung „östlicher Dienste“ aus, wie das Portal tvn24.pl erfuhr. In polnischen Medien wird seit vergangener Woche intensiv spekuliert, die illegal gewonnenen Aufnahmen könnten vom russischen Geheimdienst gewonnen und plaziert worden sein, um Polen während der anhaltenden Ukraine-Krise zu destabilisieren. Eine der betroffenen Gaststätten ist fußläufig von der russischen Botschaft zu erreichen. Um den Besitzer der Lokalität, Robert Sowa, hatte es dieser Tage einigen Wirbel gegeben, weil es zunächst hieß, die Wohnung Sowas, in der die Firma gemeldet ist, befinde sich in einem Gebäude, das der Russischen Föderation gehört. Tatsächlich beruhe alles auf einer fehlerhaften Angabe der Adresse, seine Wohnung liege im Nebenaufgang, so die Rzeczpospolita.

Derweil mehren sich die Stimmen, die einen schnellen Rücktritt der Regierung für staatspolitisch notwendig halten. Jacek Karnowski, Chef des angesehenen konservativen Magazins W sieci, wies auf das Risiko der Erpreßbarkeit hin. „Die führenden Köpfe des Regierungslagers sind heute einfach nur Geiseln irgendwelcher dunklen Kräfte. Kräfte, die beinahe sicher zumindest Verbindungen mit Rußland haben.“ Wprost-Chefredakteur Sylwester Latkowski warnte auf seinem Blog: „Wenn jemand die wichtigsten Politiker im Staat beim Mittagessen abhört, ist das ein Alarm für die polnischen Dienste.“

Premierminister Tusk freundet sich derweil offenbar bereits mit vorgezogenen Neuwahlen an. Diese könnten nicht ausgeschlossen werden, wenn „die Vertrauenskrise zu tief sein wird, um sie zu überwinden“.

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