© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Brücke zwischen Rußland und Asien
Eurasische Wirtschaftsunion: Die Russen brauchen die Kasachen als Bündnis- und Handelspartner
Michael Paulwitz

Mit zwei Ausrufezeichen haben Rußland, China und Kasachstan die Welt aufhorchen lassen. Am 21. Mai unterzeichnete eine russische Delegation in Shanghai nach zehnjährigen Verhandlungen einen Vertrag über Erdgaslieferungen an China im Wert von 400 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von dreißig Jahren. Und am 29. Mai 2014 vereinbarten die Staatschefs Rußlands, Weißrußlands und Kasachstans in der kasachischen Hauptstadt Astana die Schaffung einer „Eurasischen Wirtschaftsunion“, die 2015 in Kraft treten soll.

Wladimir Putin ist seinen Vertragspartnern entgegengekommen, um eine größere Unabhängigkeit seines Landes von ökonomischen und internationalen Verflechtungen mit dem Westen zu demonstrieren. Gegenüber China mußte der staatliche Gaskonzern Gazprom von bisherigen Preisvorstellungen abrücken.

Kasachstan, ein 17-Millionen-Einwohner-Land, das sich mit Rußland fast 7.000 Kilometer Grenze teilt und im Osten direkt an China stößt, strebt gute Beziehungen zu beiden Nachbarn an, ohne sich vereinnahmen zu lassen. Noch vor Unterzeichnung des russisch-chinesischen Gasabkommens verkündeten die Staatspräsidenten Kasachstans und Chinas, Nursultan Nasarbajew und Xi Jinping, in Shanghai eine Vereinbarung zur Vertiefung ihrer Zusammenarbeit.

Russische Minderheit wird sich nicht abspalten

Das war ganz im Sinne von Nasarbajews multivektoraler Außenpolitik, in die er auch die Eurasische Wirtschaftsunion einordnet: Kasachstan versteht sich als „Brücke“ zwischen Europa, Rußland und Asien. In dem Zusammenschluß sollen folgende Prinzipien gelten: Pragmatismus, Freiwilligkeit, Gleichberechtigung, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Achtung der Souveränität und Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen.

Diesen Punkten kommt vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise besonderes Gewicht zu. Der Sturz des rußlandfreundlichen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch hat nicht nur den ursprünglichen Plan, auch die Ukraine in den eurasischen Zusammenschluß einzubeziehen, obsolet gemacht. Auch die russische Reaktion darauf wurde von Kasachstan und China nicht wirklich unterstützt. China enthielt sich bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat, die das Krim-Referendum verurteilte, während Kasachstan im April Manöver zur Unruhebekämpfung in russischsprachigen Landesteilen durchführte und die Strafen für separatistische Forderungen verschärfte.

Rußland unterstützt solche Forderungen jedoch nicht. Der Parlamentssprecher der Teilrepublik Chakassien, Wladimir Schygaschew, der nach der Annexion der Krim auch Anschlußreferenden in Nordkasachstan vorschlug, wurde vom Kreml scharf gerügt. Reale Separatismusgefahr geht von den Russen in Kasachstans – etwa zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung – auch nicht aus.

Dies nicht nur, weil das Land autoritär regiert wird. Kasachstan hat eine verbindende Geschichtserzählung gefunden, die die Modernisierung durch russische Vermittlung ebenso umfaßt wie den Gulag. Staatspräsident Nasarbajew hält seine Reden demonstrativ auf russisch und kasachisch.

Weltausstellung 2017 in Astana geplant

Zudem haben etliche ethnische Russen das Land inzwischen verlassen. Umgekehrt lassen sich auch russische Geschäftsleute dort nieder, wo sie ungehinderten Zugang zum russischen Markt bei größerer unternehmerischer Freiheit genießen. Die Wahrnehmung der Eurasischen Wirtschaftsunion als „neue Sowjetunion“ entspreche veralteten Denkmustern, unterstreichen kasachische Diplomaten. Der Trend zu großraumorientierten Zusammenschlüssen sei global.

Mit der 2012 verkündeten Agenda „Kasachstan 2050“ will die kasachische Regierung die industrielle Produktion ausbauen und die Herausbildung einer eigenständigen mittelständischen Wirtschaft vorantreiben. Kasachstans deutschstämmiger Vizeminister für Industrie und Neue Technologien, Albert Rau, wirbt beharrlich um Direktinvestitionen deutscher mittelständischer Unternehmen.

Große Erwartungen richten sich in Kasachstan auf die Weltausstellung Expo, die 2017 in der Hauptstadt Astana stattfinden wird. Auf 113 Hektar Fläche entsteht derzeit ein eigener Expo-Stadtteil. Ein Schwerpunkt der Weltausstellung liegt auf Energiegewinnung aus erneuerbaren Ressourcen – in den Weiten Kasachstans mit seinen windreichen Steppen und seinem heißen und trockenen Süden zweifellos attraktiver als im dichtbesiedelten Deutschland.

Foto: Gipfeltreffen in Astana: Rußlands Präsident Wladimir Putin (r.) und sein kasachischer Amtskollege Nursultan Nasarbajew am 29. Mai 2014

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