© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/14 / 27. Juni 2014

Ziemlich beste Feinde
Angesichts des Konfessions- und Bürgerkriegs im Irak nähern sich die Erzrivalen Amerika und Iran an
Michael Wiesberg

Eine „Schlappe, schlimmer als Vietnam“, so bilanzierte der Nahostexperte Peter Scholl-Latour jüngst die Lage im Irak. Der renommierte Journalist trifft damit den Nagel auf den Kopf, mißt man die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten an jenen Worten, mit denen der „Krieg gegen den Terror“ im Jahre 2001 von Amerikas Präsident George W. Bush verkündet wurde. Damals sprach er davon, daß „unser Krieg gegen den Terror“ nicht eher enden werde, „bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen“ sei. In der Folge wurden insbesondere der Nahe und Mittlere Osten, Nordafrika, Afghanistan und Pakistan zu Kriegsschauplätzen oder Zielgebieten für „verdeckte Operationen“.

Dort, wo die Amerikaner und ihre jeweiligen „Koalitionen der Willigen“ wieder abzogen, ließen sie keine befriedeten Regionen zurück, sondern labile politische Verhältnisse, in denen sich die jeweiligen Regierungschefs nur mit westlicher Protektion an der Macht halten können. Hierfür ist der Irak ein Musterbeispiel, in dem sich nun eine heterogene Islamistenmiliz, die sich „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (Isis) nennt, anschickt, das Land endgültig in einen „failed state“ zu verwandeln und womöglich die ganze Region zu destabilisieren.

Unterstützt wird sie dabei von Offizieren der 2003 aufgelösten irakischen Armee und Anhängern einer erneuerten Baath-Partei. Das ist ein Bündnis, das auf den ersten Blick irritieren muß. Wie konnten Dschihadisten, die in der Region einen Gottesstaat errichten wollen, und eher säkular ausgerichtete Kräfte der einstigen irakischen Armee zusammenfinden?

Ein Grund hierfür liegt wohl in der Unterstützung der irakischen Regierung unter dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki für Syriens Präsidenten Baschar al-Assad, was den irakischen Regierungschef in den Ruch brachte, eine Art verlängerter Arm des schiitischen Gottesstaates Iran zu sein. So entstand in den Wüstengebieten zwischen dem Irak und Syrien der Kontakt von Teilen des irakischen Widerstands mit den finanziell bestens ausgestatteten „Dschihad-Tycoons“ (FAZ), in deren Reihen sich auch Kämpfer aus Westeuropa befinden. Es ist vor allem der Wille, sowohl Assad als auch die Al-Maliki-Regierung zu stürzen, der diese Gruppierungen eint. Hier liegt im übrigen auch die gemeinsame Schnittmenge mit westlichen, vor allem amerikanischen Interessen, die bisher ebenso wie Saudi-Arabien und einige Golf-Emirate den Einfluß Irans zurückdrängen wollten. Insbesondere Saudi-Arabien ist daran interessiert, die Sphäre schiitischer Dominanz, verkörpert durch die Staaten Irak, Iran, Syrien und die Milizen der schiitischen Hisbollah, aufzubrechen. Die Schiiten und deren Anhänger hingegen verstehen sich als Bollwerk gegen westliche und israelische Infiltration.

Vor diesem Hintergrund käme eine Kooperation zwischen Washington und Teheran mit dem Ziel, die Isis-Aktivisten zurückzutreiben, einem politischen Offenbarungseid seitens der Amerikaner gleich. Das Pentagon beeilte sich denn auch, derlei Behauptungen zu dementieren. Möglicherweise hatte Außenminister Kerry diesen Gerüchten durch seine vieldeutige Auskunft Vorschub geleistet, als er erklärte, „nichts ausschließen“ zu wollen, was für „reale Stabilität“ sorge. So wird es vorerst wohl bei der „symbolischen“ Entsendung eines kleinen Kontingents von Spezialkräften bleiben, die amerikanische Einrichtungen und Bürger schützen und beratend tätig werden sollen.

Etwas maliziös könnte gefragt werden, ob die Amerikaner überhaupt ein Interesse haben, die Kastanien für die Regierung al-Maliki aus dem Feuer zu holen. Schließlich war er es, der Washington ein Truppenstatut verweigert und untersagt hatte, Einheiten im Irak zu belassen. Möglicherweise setzt Obama darauf, daß sich die Lage in der Region im Sinne seines Landes „auskristallisiert“; sprich: die Regierung al-Maliki durch eine Regierung ersetzt wird, die sich gegenüber Damaskus und Teheran deutlich abgrenzt. Denn wie auch immer die Vereinigten Staaten im laufenden Konflikt handeln würden: Es käme zu dem, was der Politologe Chalmers Johnson einmal als „blowback“, also als unerwünschte Folgen politischer Handlungen bezeichnet hat.

In diesem Prozeß der „Auskristallisierung“ haben die Kurden im Irak schon weitgehende Fakten geschaffen. Die ölreiche Provinz Kirkuk ist bereits fest in ihrer Hand. Ihre Peschmerga-Milizen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Fluß Maschruah die neue Trennlinie zwischen Kurdistan und dem Rest des Landes darstellt. Das kurdische Autonomiegebiet im Irak und das als autonom reklamierte Kurdengebiet in Syrien könnten zur Vorstufe eines eigenständigen kurdischen Staates werden – und den Zerfall des Irak in einen sunnitischen, schiitischen und kurdischen Teil, wie ihn viele Auguren bereits an die Wand malen, zur Tatsache werden lassen.

Diese drohende Entwicklung hat insbesondere die Türkei auf den Plan gerufen, die radikalislamische Kämpfer in Syrien unterstützt. Für die Dschihadisten sind die Kurden Feinde, weil sie in ihrer Mehrheit eher für einen moderaten Islam stehen und darüber hinaus von sozialistischem Gedankengut geprägt sind. Die Ziele der Dschihadisten und der Kurden, hier ein Gottesstaat, dort eine Autonomieregion, stehen sich unvereinbar gegenüber.

Ob all dies aus Sicht des Westens eine „Schlappe“ darstellt, die „schlimmer als Vietnam“ ist, sei dahingestellt. Die Entwicklung im Irak ist aber ein guter Beleg dafür, wohin eine unter dem Banner der Durchsetzung von Menschenrechten herbeigeführte Intervention „raumfremder Mächte“, im konkreten Fall der westlichen Führungsmacht Amerika, führt: zu instabilen Staatsgebilden, die nach Abzug ihrer westlichen Protektoren in Bürgerkriegen und Korruption versinken.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen