© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Der Flaneur
Versteckte Kamera?
Ronald Gläser

Eine Internetkonferenz in einer alten Fabrikhalle in Berlin-Mitte. Neben mir berichtet ein Mann um die 30 mit Nerdbrille und Bart einer Frau von seinem eHealth-Projekt. Dann wechselt er das Thema und erzählt, wie er in Addis Abeba ausgeraubt wurde. Überhaupt Äthiopien. Heißes Pflaster. Aber: „Ich habe noch nie so viele hübsche Mädels gesehen.“

Ein paar Schritte weiter ein Werbestand von Google. Der IT-Gigant stellt erstmals seine Brille mit Kamera und Internetzugang vor. Die Konferenzteilnehmer dürfen die „Google Glass“ testen.

Plötzlich erscheint eine Google-Mitarbeiterin. Klein, lange blonde Haare, energisch.

Google-Mitarbeiter D. (er besteht darauf, daß sein Vorname ungenannt bleibt) erklärt zwei weiteren Computerinteressierten und mir, wie die Brille funktioniert. Der glatzköpfige Hacker neben mir setzt die Brille auf und macht komische Kopfbewegungen, sagt plötzlich „Okay, glass.“ Ich schreibe einige Stichworte auf ein A4-Blatt.

Plötzlich erscheint eine weitere Google-Mitarbeiterin. Klein, lange blonde Haare, energisch. Auf englisch: „Sind Sie von der Presse?“ „Ja.“ „Dann hören Sie bitte auf, Notizen zu machen.“ „Wie bitte?“ „Sie dürfen nicht mitschreiben, was in diesem Gespräch gesagt wird.“

Unfaßbar. Da ist der Meister der Algorithmen und Marktführer unter den Suchmaschinen. Der bei Datenschützern regelmäßig Schnappatmung auslöst. Der alle Straßen abfotografiert und die Bilder ins Netz gestellt hat. Der jetzt die Brille mit Kamera und Mikro präsentiert. Kurzum: Google, die Verkörperung von Big Data, will einen Journalisten daran hindern, Notizen zu machen, wenn ein Google-Mitarbeiter auf einer öffentlichen Veranstaltung ein Produkt vorstellt, mit dem alles mitgefilmt werden kann. Kann das wirklich sein?

Es kann. Google verbietet Journalisten das Anfertigen von Notizen. Deren gutes Recht. Dann darf sich der Konzern aber auch über die kritische Haltung vieler Journalisten gegenüber dem als Datenkrake dämonisierten Unternehmen nicht beklagen.

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