© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

„Daten sammeln, immer und jederzeit“
Der Journalist Glenn Greenwald schildert die Zusammenarbeit mit NSA-Informant Edward Snowden
Wolfgang Kaufmann

Am 10. Dezember 2009 erhielt Barack Hussein Obama, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, den Friedensnobelpreis für seine „außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“. Reichlich vier Jahre später schlugen die norwegischen Politiker Solhjell und Valen die Vergabe des gleichen Preises an den US-Amerikaner Edward Joseph Snowden vor.

Tatsächlich wäre Snowden wohl auch ein würdigerer Kandidat, denn ihm verdankt die Weltöffentlichkeit die Erkenntnis, daß der Präsident seines Landes eben gerade nicht der konziliante Erste unter Gleichen ist, als den ihn viele sehen wollten, sondern eher die Inkarnation des um Omnipotenz und Allwissenheit bemühten „Big Brother“ aus Orwells legendärer Dystopie „1984“. Zwar legte bereits Obamas Vorgänger George W. Bush mit dem Patriot Act vom Oktober 2001 den Grundstein für das kontinuierliche Durchschnüffeln des Internets sowie des Telefonverkehrs von Bürgern der USA und zahlreicher anderer Länder auf Freund- und Feindseite. Aber erst unter der Regierung Obama lief die für die Überwachung zuständige National Security Agency (NSA) diesbezüglich zu ganz großer Form auf.

Während zum Ende der Ära Bush noch rund drei Milliarden elektronischer Kommunikationsereignisse auf der Welt pro Tag ausgespäht wurden, stieg diese Quote bis Ende 2012 auf 25 Milliarden. Ebenso war es der Friedensnobelpreisträger, der im November 2012 eine streng geheime Präsidialweisung unterzeichnete, daß sich das Pentagon und andere Behörden auf aggressive Cyberattacken gegen ausländische Ziele vorzubereiten hätten.

Publik machte der US-Journalist und Verfassungsrechtler Glenn Greenwald diese und andere Tatsachen durch mehrere Artikel in der britischen Tageszeitung The Guardian, welche vor einem Jahr erschienen sind und in Auswertung der rund 10.000 Dateien mit hochgeheimen NSA-Dokumenten entstanden waren, die der Autor Anfang Juni 2013 von Snowden erhalten hatte.

Was dem vorausging, schildert Greenwald zu Eingang seines neuesten Buches „Die globale Überwachung“.Auf den konspirativen ersten Versuch Snowdens vom Dezember 2012, Kontakt zu ihm aufzunehmen, habe er zunächst gar nicht reagiert, weil er dachte, ein Wichtigtuer wolle ihn an der Nase herumführen. Um so größer war dann Greenwalds Überraschung, als er dem Ex-Geheimdienstmitarbeiter im Hongkonger „Mira Hotel“ gegenübersaß und als präzise und analytisch denkenden jungen Mann mit hohen moralischen Ansprüchen kennenlernte, der keinesfalls dem Klischee des paranoiden IT-Freaks beziehungsweise rachelüsternen Versagers entsprach.

Damit kontrastiert Greenwalds Beschreibung von Snowden mit dem, was US-Politiker über den Whistleblower behaupten – allen voran Obamas Außenminister Kerry, welcher Snowden erst kürzlich als „Feigling“ bezeichnete, der seine Kritik an den NSA doch hätte zu Hause vorbringen sollen. Dabei kam es gerade unter der Ägide Obamas zu einer nie dagewesenen Welle von Verfahren gegen Informanten aus dem Staatsapparat: Seit dem Machtantritt des früheren Rechtsanwaltes, der im Wahlkampf noch getönt hatte, er wolle für die „transparenteste Regierung in der Geschichte“ sorgen, sind mehr als doppelt so viele Personen wegen unerwünschter Enthüllungen über das Treiben der US-Administration angeklagt worden wie unter allen anderen Präsidenten vor Obama zusammen.

Wirtschaftsspionage und Verletzung der Privatsphäre

Im zweiten Teil des Buches stellt Greenwald dann 120 Dokumente aus der Sammlung Snowdens vor, aus denen detailliert hervorgeht, wie die NSA seit Anbeginn der Ära Obama immer intensiver versuchte, dem Ideal ihres langjährigen Direktors Keith Alexander gerecht zu werden, der 2008 anläßlich einer Visite beim britischen Partnerdienst GCHQ die keineswegs scherzhaft gemeinte Frage gestellt hatte: „Warum können wir nicht alle Daten sammeln, immer und jederzeit?“ So zeigen die Statistiken des Zählprogramms „Boundless Informant“ das genaue Ausmaß der zunehmenden Überwachung des globalen Telefon- und E-Mail-Verkehrs unter Obama.

Dazu passend präsentiert Greenwald gleich noch die Verfügung eines US-Geheimgerichtes vom 25. April 2013, mit welcher der US-Telekommunikationskonzern Verizon gezwungen wurde, Kundendaten an die NSA weiterzugeben. Außerdem stellt er einige der unzähligen Spähprogramme vor, die nachweislich nicht nur der Terrorbekämpfung, sondern auch der Wirtschaftsspionage sowie der Verletzung der Privatsphäre unbescholtener Bürger innerhalb und außerhalb der USA dienen. Exemplarisch zu nennen sind hier „Prism“, mit dem die Nutzer der Leistungen der Internetkonzerne Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, Paltalk, Youtube, Skype, AOL und Apple gläsern werden; „Project Bullrun“, das dem Zweck dient, die üblichen Verschlüsselungen für eine sichere Online-Datenübertragung zu knacken; sowie „Olympia“ zum Zwecke der Ausspähung des brasilianischen Ministeriums für Bergbau und Energie.

Weitere streng vertrauliche Dokumente zeigen, welche Privatfirmen mit der NSA kooperieren. Darunter finden sich wiederum bekannte Namen wie Intel, Motorola, IBM, Cisco und HP. Diese Zusammenarbeit dient ebenfalls dem Zweck, die weltweite Kommunikation zu kontrollieren – nicht zuletzt, indem Produkte dieser Hersteller mit spezieller Hard- und Software der NSA infiziert werden, bevor sie an die Empfänger im Ausland gehen. Allerdings konnte auch Snowden längst noch nicht alle Unternehmen enttarnen, die als Helfershelfer des US-Datenkraken fungieren, denn deren Identität zählt zu den bestgehütetsten Geheimnissen der NSA.

Im abschließenden Teil über die Gefahren durch die Massenüberwachung bringt Greenwald noch einen interessanten Gedanken ins Spiel: Trotz allen zur Schau gestellten Ärgers über das Publikwerden der NSA-Aktivitäten dürften viele Regierungen kein sonderliches Problem damit haben, schließlich fördere das Wissen um die allgegenwärtige Bespitzelung die Bereitschaft der Bürger, nur noch das Erwünschte zu denken und zu äußern.

Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen. Droe-mer-Verlag, München 2014, gebunden, 366 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

Foto: „In NSA we trust“ auf Dollarnote und Netzwerkkabel: Erst unter Obama erreichte das Spitzelsystem gewaltige Dimensionen

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