© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

„Der alte Feind da unten“
Joanne K. Rowling contra Sean Connery: Der Kampf um Schottlands Unabhängigkeit
Peter Rohden

Wahrscheinlich ist der Name der Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling den meisten Menschen bekannter als die Sache, für die sie sich jetzt stark macht: die Erhaltung Großbritanniens. In der vergangenen Woche spendete sie eine Million Pfund, um die Initiative „Better together“ zu unterstützen, die darum wirbt, beim Referendum im Herbst für den Fortbestand des Vereinigten Königreichs zu stimmen. Das hat ihr nicht nur Beifall eingetragen, in Schottland sogar massive Feindseligkeit.

Ein Grund dafür ist auch, daß Joanne K. Rowling nun die bekannteste Gegnerin der schottischen Unabhängigkeit sein dürfte. Die Alternative zu Sean Connery, Schauspieler und über viele Jahre die Verkörperung von James Bond, dem prominentesten Fürsprecher einer Separation, Aushängeschild der Scottish National Party (SNP).

Seit 2011 hat die SNP die absolute Mehrheit im Regionalparlament und stellt die schottische Regierung. Nach gesamtbritischen Maßstäben gehört sie zur Linken, aber ihre Vorstellungen von kultureller Identität und politischer Selbstbestimmung sind nichts anderes als nationalistisch. Das Spektrum ihrer Maßnahmen reicht von der systematischen Förderung des Gälischen und der sorgsamen Pflege aller möglichen Bräuche bis zum aktiven Kampf für die endgültige Loslösung Schottlands aus dem britischen Staatsverband.

Wer sich deshalb an den irischen Freiheitskampf erinnert fühlt, muß allerdings zur Kenntnis nehmen, daß es weder den sprachlichen noch den religiösen Gegensatz gibt, der viel von der Heftigkeit der Auseinandersetzung auf der Grünen Insel erklärt. Schottland war seit den Anfängen seiner Geschichte an den „alten Feind da unten“ – England – gekettet, seit dem Mittelalter gab es massive Einflußnahmen aus dem Süden und Parteigänger Londons in den eigenen Reihen, dynastische Verflechtungen und ökonomische Abhängigkeiten.

Auch wenn uns Hollywood „Braveheart“ und Rob Roy nahegebracht hat, ist die Vorstellung von einer Art permanenter Rebellion der Schotten gegen die englische Dominanz falsch, oder mindestens einseitig. Die Ursachen für den letzten großen Zusammenstoß lagen jedenfalls darin, daß sich das schottische Königsgeschlechts der Stuarts weigerte, den Anspruch auf die Krone – auch die Krone Großbritanniens – aufzugeben. In der letzten großen Schlacht bei Culloden, 1746, standen sich denn auch nicht geschlossen Clans und Rotröcke gegenüber. Ein großer Teil des schottischen Adels hatte längst, von englischem Geld überzeugt, die Seiten gewechselt.

Für die Masse der Schotten bedeutete Culloden allerdings mehr als eine militärische Episode, sie sahen sich nach der Niederlage dem unmittelbaren Zwang der Zentralregierung unterworfen, die keinerlei Rücksicht auf ihre Überlieferung nahm und die nationalen Besonderheiten auszumerzen trachtete. 1773 schrieb der Arzt und Zeitkritiker Samuel Johnson einen Bericht über seine Reise durch Schottland, in dem es hieß: „Niemals wohl gab es einen solch raschen und vollständigen Wechsel nationaler Sitten und Gebräuche wie im Hochland seit der letzten Eroberung und den darauffolgenden Gesetzen. Wir kamen zu spät, das zu sehen, was wir erwartet hatten, nämlich ein Volk mit eigenem Charakter und einem altertümlichen Lebensstil. Die Clans haben keine Bedeutung mehr für die Menschen; ihr wildes Temperament ist gezähmt, ihr Kampfeswillen erloschen, ihre Würde zerstört, ihre Unabhängigkeit verloren, ihr Haß auf die Regierung unterdrückt und die Hochachtung vor den eigenen Führern geschwunden. Herübergerettet aus der Zeit vor der Eroberung ihres Landes haben sie nur ihre Sprache und ihre Armut. Die Sprache aber wird von allen Seiten bekämpft. Die Schulen, die gebaut werden, unterrichten nur in Englisch.“

Wenn der Engländer Johnson das Verbot von Kilt und Tartanstoff und die Unterdrückung des Gälischen bedauerte, nahm er damit eine Empfindung vorweg, die zu den Triebfedern der „Keltischen Renaissance“ gehören sollte und neben der Bretagne, der Isle of Man, Irland und Wales auch Schottland seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfaßte. Schriftsteller wie Robert Burns und Walter Scott begannen damals einer neuen Sehnsucht nach schottischer Identität Ausdruck zu geben, die Gebildeten in Edinburgh und anderen Städten befaßten sich mit der nationalen Vergangenheit und schufen erst jetzt jenes Geschichtsbild, in dem der Individualismus der Schotten und ihr Freiheitsdrang, ihr Temperament und ihr Draufgängertum dem Konformismus und dem Ordnungssinn, der Kleinlichkeit und der Vorsicht der Engländer klar konturiert gegenübergestellt wurden.

Die Forderung nach politischer Selbständigkeit haben die Gebildeten aus dieser patriotischen Romantik allerdings nur selten abgeleitet. Was einen Grund auch darin hatte, daß die englische Elite Gefallen am „authentischen“ Schottland mit seinen „unverdorbenen“ Bewohnern fand. Queen Victoria brachte nicht nur den Urlaub im Hochland in Mode, sondern auch das Tragen von Karostoffen. Umgekehrt fühlten sich viele Schotten längst als Briten, dienten als Elitesoldaten in den stolzen Hochlandregimentern oder waren anderweitig am Aufbau des Empire beteiligt.

Daß die SNP erst 1934 gegründet werden konnte und mehr als vier Jahrzehnte ein Schattendasein fristete, war insofern kein Zufall, sowenig wie die Tatsache, daß sie Erfolge erst zu verzeichnen hatte, als sich überraschend eine Perspektive für die weitere Entwicklung bot, mit der so niemand gerechnet hatte. In einer alten Broschüre der Nationalisten von 1981 steht kein Wort von Souveränität und wenig über schottische Eigenart, aber der entscheidende Satz von den Erdölfunden vor der Küste, die eine unabhängige schottische Republik denkbar machten.

Die Bemerkung ist nicht als Denunziation des schottischen Wunsches nach Selbstbestimmung gedacht. Aber wie fast immer in der Geschichte liegen materielle und immaterielle Handlungsmotive eng beieinander. Rowling und Connery sind ohne Zweifel reich genug, um von den materiellen abzusehen, aber für ihre Mitbürger, ob sie sich als Briten oder als Schotten oder als beides betrachten, sieht die Sache anders aus.

Foto: Werbemittel der Ja-Kampagne für die schottische Unabhängigkeit: Die Scottish National Party (SNP) will die Loslösung von England

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