© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Marsch auf Bagdad
Irak: Islamisten wollen das Land zwischen Euphrat und Tigris erobern / Dem fragilen Staat droht die Spaltung
Günther Deschner

Der spektakuläre Sieg der Kämpfer der Isis (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) in Mossul bildet den vorläufigen Höhepunkt der Gewalteskalation im Irak, der schwersten Bürgerkriegswelle seit 2007. Bereits zu Jahresbeginn hatten die Dschihadisten weite Teile der westirakischen Unruhe-Provinz Anbar und die Stadt Falludscha unter ihre Kontrolle gebracht. Von dort aus starteten sie regelmäßig Angriffe in Richtung Bagdad. Auch die Grenze zu Syrien wird in weiten Teilen von Isis kontrolliert.

Der politische Konflikt zwischen sunnitischen, schiitischen und kurdischen Parteien unterminiert die unsichere Machtbasis von Regierungschef Nuri al-Maliki in Bagdad zusätzlich. Mit 92 von 328 Sitzen lag Maliki bei den Parlamentswahlen Ende April zwar vor den anderen Parteien – doch zur für die Regierungsbildung notwendigen absoluten Mehrheit fehlen ihm Koalitionspartner. Es war die dritte Parlamentswahl seit der von den USA angeführten Invasion 2003, die Saddam Hussein und sein sunnitisch-orientiertes Regime stürzte.

Die langunterdrückte schiitische Mehrheit im Land gelangte dabei zurück an die Macht und wählte Maliki zum Ministerpräsidenten. Eine handlungs- und durchsetzungsfähige Regierung ist immer noch nicht in Sicht. Aber die Zeit drängt: Bagdad kann die verschiedenen religiösen Gruppen im Land nicht mehr zusammenzuhalten. Immer wieder kommt es zu Anschlägen, die im letzten Jahr 8.000 Menschenleben forderten.

Mossul, die Hauptstadt der irakischen Sunniten, war seit Beginn der amerikanischen Besetzung des Irak ein Widerstandszentrum gewesen, in dem islamistische Radikale mit dem, was von Saddams Baath-Partei übriggeblieben war, zusammenarbeiteten. Sie betrieben geheime Bombenwerkstätten, die für den Widerstand in ganz Irak Sprengkörper für Anschläge lieferten, zuerst gegen die Amerikaner und später auch gegen die Schiiten.

So wie der Sunnit Saddam schiitische und kurdische Bevölkerungsgruppen benachteiligte, hat sich Maliki in den acht Jahren seiner bisherigen Amtszeit als Interessenvertreter der schiitischen Iraker präsentiert: Nun sind es die Sunniten, die sich durch Malikis schiitische Klientelpolitik bedroht fühlen, zu Bürgern zweiter Klasse degradiert – im Beamtenapparat, in Verwaltung und in Staatsbetrieben. In Armee und Polizei haben sie nichts zu melden.

Dschihadisten setzen Kirchen in Brand

Gefördert wurde der sunnitische Widerstand im Untergrund durch die Ereignisse in Syrien, wo Isis sich im Osten festsetzte, die dortige Provinzhauptstadt Ar-Raqqa beherrschte und durch die Syrische Wüste hindurch nach dem Irak übergriff. Durch diesen Schritt wurde die poröse Grenze zwischen beiden Ländern aufgelöst. Bewaffnete Kämpfer sickerten aus Syrien in den Irak ein und fanden dort Helfer unter den mit dem Maliki-Regime bitter verfeindeten Sunniten und lokalen sunnitischen Stämmen.

Die Eroberung Mossuls durch die Isis bedroht vor allem die in der Region zahlenmäßig starke christliche Minderheit akut. Die Zweimillionenstadt am Tigris war einst das Zentrum zahlreicher Ostkirchen; viele Gemeinden haben sich bis heute erhalten. Die konfessionelle Gewalt der vergangenen Jahre hat bereits viele Christen in die Flucht getrieben, die Machtübernahme der Isis forciert diesen Exodus.

Unmittelbar nach der Einnahme der Stadt setzten die Dschihadisten neben schiitischen Moscheen mehrere Kirchen in Brand. Überdies erließen sie ein Edikt, das erklärt, was in ihrem „Staat“ gelten soll: Fünfmal tägliches Gebet sei Pflicht, heißt es in dem 16-Punkte-Katalog. Frauen sollen sich verschleiern und nur das Haus verlassen, wenn es unbedingt nötig sei. Dieben wird mit dem Abhacken der Hände gedroht.

Die Dschihadisten sind bis an die Grenze zur kurdischen Autonomieregion vormarschiert. Das Gebiet im Norden des Irak ist das einzige, in dem obrigkeitliche Strukturen noch intakt sind und die Wirtschaft, nicht zuletzt dank innerer Sicherheit und ausländischer Unternehmen, floriert. Die kurdische Regionalregierung in Erbil steht vor einem Dilemma. Ihre Truppen, die legendären „Peshmerga“, müssen zum einen das Vorrücken der Islamisten verhindern und zum anderen Hunderttausende Flüchtlinge versorgen. Für Kurdistan die größte Herausforderung seit dem Sturz Saddams.

Der kurdische Ministerpräsident Nedschirwan Barsani hat deshalb internationale Hilfe erbeten. Zudem versucht er Kapital aus der Krise zu schlagen und ließ Gebiete mit starken kurdischen Bevölkerungsanteilen unter Kontrolle der Peschmerga stellen, obwohl sie nicht zum Autonomiegebiet gehören. Die 2.000 Jahre alte Stadt Kirkuk, das „kurdische Jerusalem“, heute eine wichtige Ölmetropole, ist auch betroffen.

Unruhe in den Nachbarstaaten

Der Vormarsch die Dschihadisten im Irak läßt sogar befeindete Mächte nachdenklich werden: Wie das Wall Street Journal berichtete, bereitet die US-Regierung direkte Gespräche mit dem Iran über die Krise im Irak vor. Washington und Teheran wollen sich demnach bereits in den nächsten Tagen zu ersten Beratungen treffen, hieß es unter Berufung auf US-Regierungsvertreter.

Foto: Tödlicher Ernst: Diese gefangengenommenen irakischen Soldaten sollen von den Gotteskriegern grausam hingerichtet worden sein

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen