© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

Genossen auf der „Reste-Rampe“
Linkspartei: Der Streit um ein internes Papier bringt die Führung in Verlegenheit
Paul Leonhard

Unliebsame Menschen auf der „Reste-Rampe“, die eigenen Genossen noch dazu. Es sind schon seltsame Formulierungen, die in internen Papieren der in solchen Dingen überlicherweise äußerst sensiblen Linkssozialisten verwendet werden. Das scheint auch Katja Kipping und Bernd Riexinger, den beiden Vorsitzenden der Linkspartei, gedämmert zu haben, als sie sich plötzlich erneut nicht mit politischen Sachthemen, sondern mit Personalquerelen im Fokus der Öffentlichkeit wiederfanden.

Der Spiegel hatte den Stein ins Rollen gebracht, als er unter der Überschrift „Katja die Grobe“ von der Existenz eines internen Strategiepapiers berichtete und dessen Urheber im Umfeld von Kipping verortete. In dem Dokument geht es um Personalien, um die Postenverteilung in einer künftigen Fraktion, um inakzeptable und „zu schützende Personen“. Und es taucht der Satz auf: „Die Fraktion darf nicht zur Reste-Rampe der Abgewählten und Rausgeschmissenen werden.“

Diskussion kommt zur Unzeit

Obwohl das rüde formulierte Papier aus der Zeit vor den Bundestagswahlen im vergangenen Herbst stammt, ist es ein beredtes Zeugnis dafür, wie zerstritten eine Partei ist, die nach außen für Toleranz, Transparenz und Solidarität auftritt.

„Wir haben solch ein Papier nicht in Auftrag gegeben“, teilten Kipping und Riexinger nun in einer gemeinsamen Erklärung mit. Sie hätten Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn gebeten, die Vorgänge, die zum Entstehen und zur Veröffentlichung dieses Papiers geführt haben, intern zu prüfen. Alle in dem Papier mit Klarnamen Genannten sollen zu einer gemeinsamen Beratung eingeladen werden. In einem Ehrenkodex sollen Standards für interne Papiere festgelegt werden. Aber das Porzellan ist längst zerschlagen.

Die unterschiedlichen Strömungen in der Linken verdächtigen sich gegenseitig. Auch Kipping beteiligt sich an den Spekulationen. Das Papier sei „auf jeden Fall nicht von der Mitte und dem dritten Weg geprägt“, sagte sie. Fraktionschef Gregor Gysi verweist auf die „Unzufriedenheit bei Personen“, die auf dem jüngsten Bundesparteitag unterlegen waren. „Manchmal wird ja auch etwas lanciert, was sich irgendeine Einzelperson ausgedacht hat“, sagte er dem Deutschlandfunk.

Ein Verdacht richtet sich auf den geschaßten Schatzmeister Raju Sharma und sein Umfeld. Sharma war Anfang Mai auf dem Parteitag in Berlin auf Betreiben Kippings nicht wiedergewählt worden. Nach dem Parteitag zeigte sich das „Forum demokratischer Sozialismus“ so angeschlagen, so daß es Ende Juni auf einem außerordentlichen Treffen über seine Auslösung entscheiden will. Nach Recherchen der Welt bestehe bei der Linken kein Zweifel mehr, daß das Papier aus der Parteizentrale stammt, viele würden seinen Ursprung im „Umfeld von Ko-Parteichef Bernd Riexinger“ vermuten.

Innerhalb und außerhalb der Partei wird derweil noch immer gespannt beobachtet, wer sich wie positioniert. Der frühere Parteichef Klaus Ernst sprach von Intrige und öffentlicher Denunziation. Fraktionsvize Dietmar Bartsch sagte der Süddeutschen Zeitung, er finde es skandalös, daß „so etwas aufgeschrieben“, und inakzeptabel, daß „das den Medien durchgesteckt“ worden sei. Parteivize Caren Lay twitterte, daß es sich um eine haltlose und unterirdische „Schmutzkampagne“ gegen Kipping handle. Jeder Insider würde sehen, daß das Papier nicht von Kipping oder dem „dritten Weg“ sein könne.

Von wem auch immer das Papier stammt, der Linken kommt diese Diskussion zwei Monate vor zukunftsweisenden Landtagswahlen in Sachsen und wenig später in Thüringen und Brandenburg ungelegen.

„Grenze des Zumutbaren“ erreicht

„Die Wähler haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie Parteien mit Konflikten umgehen“, schreibt die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak, im Papier den „personellen No-Gos“ zugeordnet, bei Cicero-Online: Wer eine solidarische und gerechte Gesellschaft wolle, der müsse innerhalb der eigenen Partei solidarisch miteinander umgehen. Wawzyniak zog die Konsequenz und trat als stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion zurück. Die „Grenze der Zumutbarkeit“ sei erreicht. Sie kritisiert den Führungsstil der Parteivorsitzenden und fordert eine Debatte über die Diskussionskultur. Kipping dagegen betrachtet die Vorfälle als einen „Ausdruck eines Umbruchs in der Partei“.

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