© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/14 / 20. Juni 2014

„Absolut furchterregend“
Annie Machon war Führungsoffizier des britischen Geheimdienstes. Dann stieg sie aus, angewidert von Lügen und Verbrechen. Heute warnt die Whistleblowerin vor der NSA und ihrer Überwachung.
Moritz Schwarz

Frau Machon, waren Sie so eine Art James Bond?

Machon: James Bond dient in der Auslandsaufklärung des Secret Service – dem MI6. Ich dagegen war beim MI5, dem Inlandsgeheimdienst.

Aber sonst stimmt der Vergleich?

Machon: Ich war eher so etwas wie Bonds Führungsoffizier, hatte die Leitung von Operationen inne. Steuerung, Koordinierung, Kommunikation mit den Agenten, die Zielpersonen observierten oder deren Wohnungen verwanzten, das waren meine Aufgaben. Zudem Auswertung der beschafften Informationen und Berichterstattung an die Regierung.

Dabei wollten Sie eigentlich Diplomatin werden. Warum haben Sie sich auf den Geheimdienst eingelassen?

Machon: Ich fand eigentlich den Gedanken schön, mein Land im Ausland zu repräsentieren. Ich kam frisch von der Uni, da erhielt ich diesen geheimnisvollen Brief mit der Aufforderung, die dort angegebene Telefonnummer anzurufen. Mir schwante schon, daß dahinter ein Anwerbeversuch des Secret Service steckte, und ich war reserviert, denn damals – 1991 – hatte der Geheimdienst wegen etlicher Skandale in den achtziger Jahren einen schlechten Ruf. Erinnern Sie sich?

Sie meinen „Spycatcher“?

Machon: Genau, 1985 erschien dieses Buch von Peter Wright, dem ehemaligen Vize-Direktor des MI5, der darin ausgepackt hatte. Die britische Regierung verbot das Buch, doch konnte es sowohl in Schottland auch in Australien erscheinen. Die Offenbarungen darin hatten für erheblichen Wirbel gesorgt. Skandalös war etwa, wie leicht ein Bürger in Verdacht geraten konnte. Es genügte, die falsche Überzeugung zu haben – damals etwa Trotzkist zu sein – und schon wurde man vom MI5 beobachtet. Ja, manche gerieten sogar nur deshalb ins Visier, weil sie mit Andersdenkenden befreundet waren. Es war wie bei der Stasi in Ostdeutschland, nur nicht so total.

Dennoch wurden Sie Agentin?

Machon: Tja, Sie versprachen damals, das sei alles Geschichte, der Skandal habe den Dienst verändert: Nun gebe es Gesetze, die Auswüchse verhinderten, man sei auf den rechten Weg zurückgekehrt.

Und das war nicht so?

Machon: Nein, aber das begriff ich erst im Laufe der Zeit.

Sie haben ernstlich geglaubt, was ein Geheimdienst Ihnen erzählt?

Machon: Ich weiß heute, daß es naiv war. Aber ich wollte ja auch mithelfen, es anders zu machen. Wie soll ein Geheimdienst besser werden, wenn alle Leute mit moralischem Bewußtsein von vornherein nein sagen? Natürlich frage ich mich heute, ob ich es vielleicht auch glauben wollte, denn mich hat die Aufgabe gereizt, und ich war grundsätzlich von der Notwendigkeit der Arbeit überzeugt: Es ging um Terrorabwehr – zweifellos mußte sich Großbritannien vor Terrorismus schützen!

Woran merkten Sie, daß Sie getäuscht wurden?

Machon: Das war ein langsamer Prozeß. Mein Kollege David Shayler – schließlich mein Lebenspartner – und ich wurden Zeugen einer ganzen Reihe von Fehlern und sogar Verbrechen. Etwa die illegale Überwachung eines Journalisten des Guardian. Oder das Versagen des MI5, einen Bombenanschlag auf die israelische Botschaft in London zu verhindern, der damit endete, daß zwei unschuldige palästinensische Studenten dafür verurteilt wurden. Oder ein Anschlag in Libyen, wo der MI6 eine al-Kaida-Zelle gründete, um ein Attentat auf Oberst Gaddafi durchzuführen. Gaddafi wurde verfehlt, statt dessen elf Unschuldige getötet. Natürlich versuchten wir zunächst, diese Dinge intern zu klären. Aber wir mußten feststellen, daß unsere Vorgesetzten das nicht interessierte. Unschuldige Opfer waren für sie nur Kollateralschäden. Dabei waren wir nicht allein: etliche Kollegen beschwerten sich ebenfalls. Wie wir waren sie dem Dienst aus Idealismus beigetreten – sie wollten Unheil verhindern, nicht selbst welches anrichten.

Wie war denn die Reaktion?

Machon: Es hieß nur: Hört auf, Unruhe zu stiften! Die Folge war, daß immer mehr Leute den Dienst quittierten.

Warum gingen Sie als einzige an die Presse?

Machon: Die anderen hatten Familie und damit etwas zu verlieren. David und ich dagegen nicht. Die unschuldigen Toten in Libyen – das war ein glattes Verbrechen und auch nach britischem Recht illegal. Wir konnten die Sache nicht vergessen, ohne unser Gewissen zu verraten.

Allerdings verkaufte David Shayler sein Wissen für 40.000 Pfund an die Medien. Wie „idealistisch“ ist das?

Machon: So wurde es vielfach kolportiert – aber so stimmt es nicht. Als wir unsere Informationen der Presse übergaben, war von Geld keine Rede. Unsere Veröffentlichungen entwickelten sich allerdings rasch zu einem Riesenskandal, eine Woche lang waren wir täglich das Topthema in den Nachrichten – bis in Paris Lady Di tödlich verunglückte und das unseren Fall verdrängte. Dennoch wurde klar, daß uns inzwischen die Verhaftung drohte und wir ins Ausland ausweichen mußten. David erhielt schließlich etwa 20.000 Pfund, um mit mir nach Frankreich zu flüchten und dort mindestens sechs Monate über die Runden kommen zu können. Wir hatten Glück, daß Paris einen Auslieferungsantrag Londons ablehnte.

Im „Guardian“ erhoben Sie später weitere schwere Vorwürfe gegen den Secret Service: er habe David Shayler zugrunde gerichtet.

Machon: Sie haben sechs Jahre lang eine Kampagne gegen David geführt, ihn verfolgt und diskreditiert. Erst zwangen sie ihn ins Ausland, als er nach Jahren zurückkehrte verhafteten und verurteilten sie ihn, schikanierten seine Freunde und Familie. Jahrelang stand er unter enormem Druck und Streß, wußte nicht, was die Zukunft bringen würde und war zeitweilig fast völlig isoliert. Mit der Zeit entwickelte er eine Verfolgungspsychose, sein Charakter veränderte sich, er wurde zwanghaft und verlor den Bezug zur Realität. Er mißtraute schließlich selbst seinen Freunden, wurde depressiv und reizbar und zeigte bizarre Verhaltensweisen, etwa sich sämtliche Körperhaare abzurasieren. Als ich David kennenlernte, war er ein idealistischer, patriotischer junger Mann. Er war intelligent und agil und immer derjenige, der die entscheidenden Fragen stellte. Als ich mich schließlich nach 14 Jahren von ihm trennen mußte, weil er mittlerweile in einer anderen Welt, aber nicht mehr in unserer Beziehung lebte, war er ein gebrochener Mann. Ich habe erlebt, was es psychologisch, physisch und emotional bedeutet, wenn der Staat seine ganze Macht gegen einen Whistleblower entlädt.

Heute warnen Sie die europäischen Öffentlichkeiten davor, die Machenschaften der Geheimdienste zu unterschätzen.

Machon: Ja, denn ich habe gelernt, daß es für Geheimdienste keine Grenzen gibt. Immer wieder gab es Skandale, immer wieder wird Besserung gelobt, aber das passiert nicht. Wenn denen etwas möglich ist, dann tun sie es auch.

Das heißt, die deutsche Hoffnung, durch den NSA-Skandal werde sich etwas ändern, trügt?

Machon: Glauben Sie etwa, die von David und mir ans Licht gebrachten Verbrechen wurden je untersucht? Nein! Ich versichere Ihnen: Ganz egal, was sie uns erzählen mögen, sie werden auch in Zukunft auf die Massenüberwachung nicht verzichten. Wissen ist Macht!

Ging es denn schon zu Ihrer Dienstzeit um das Abhören der Bevölkerung?

Machon: Ja, wenn auch nicht in dem Maßstab wie heute. Der Grund ist aber nicht, daß sie damals mehr Skrupel gehabt hätten, sondern daß die Technologie noch nicht so weit war. Heute brauche ich nur eins und eins zusammenzuzählen: Die Skrupellosigkeit, die ich selbst erlebt habe, plus die neuen technischen Möglichkeiten. Das Resultat ist absolut angsteinfößend.

Stichwort „Tempora“.

Machon: Zum Beispiel! Tempora ist ein Spionage-Programm des britischen Abhördienstes GCHQ, mit dem dieser durch Anzapfen transatlantischer Glasfaserkabel die Telefon- und Internetkommunikation von 500.000.000 Europäern abhören kann. Das übertrifft sogar noch die Aktivitäten der NSA.

Edward Snowden nennt Tempora „das größte verdachtslose Überwachungsprogramm in der Geschichte der Menschheit“.

Machon: Absolut! Uns droht tatsächlich so etwas wie eine globale Stasi! Die Leute glauben das vielleicht nicht, weil sie es sich nicht vorstellen können. Aber ich sage: Hören Sie besser auf jene, die Erfahrung damit haben. Das ist kein Schreckensszenario, sondern eine ernste Warnung. Es ist kein Spaß, ein Whistleblower zu sein. Wir haben das getan, weil wir Einblick bekommen haben, was sich hinter den Kulissen zusammenbraut.

In der Tat gab es ja schon vor Edward Snowden Whistleblower. Warum hat das die Gesellschaft zuvor nicht interessiert?

Machon: In Großbritannien gab es auch vor Snowden ein wesentlich größeres Interesse für Whistleblower als in Deutschland, allerdings fehlt dort etwas: das kritische Bewußtsein für das, was diese Leute dann zu sagen haben. In Deutschland dagegen ist eben das kritische Bewußtsein stärker ausgeprägt. Es stimmt aber: Schon vor Snowden gab es etwa Thomas Drake oder William Binney. Beide waren, wie Snowden, Mitarbeiter der NSA, und beide sind vor ihm an die Öffentlichkeit gegangen. Beide berichteten bereits von umfangreichen, gesetzwidrigen Überwachungsprogrammen im ganz großen Stil, und beide wurden verfolgt und kriminalisiert und ihre bürgerliche Karriere zerstört. Natürlich hätte die Öffentlichkeit also früher aufwachen können. Immerhin ist sie es jetzt.

Meinen Sie?

Machon: Ich hoffe es. Das Internet trägt viel dazu bei, das gibt mir Hoffnung.

Nun widmet sich ein Untersuchungsausschuß des Bundestags dem NSA-Skandal. Bringt das etwas?

Machon: Das weiß ich nicht, weil ich mich mit deutscher Politik nicht auskenne. Ich kann nur sagen, ob es etwas bringen würde, wenn es sich um einen Untersuchungsausschuß des britischen Parlaments handeln würde. Nein, dann würde dabei nichts herauskommen.

Warum nicht?

Machon: Ich habe eines gelernt: Den Einfluß der Geheimdienste, vor allem des amerikanischen, dürfen Sie nie unterschätzen! Vor allem nicht in einem Vasallenstaat wie Deutschland.

Vasallenstaat?

Machon: Entschuldigen Sie bitte, daß ich das so sage. Aber der Einfluß, den die US-Geheimdienste hier ausüben, rechtfertigt, glaube ich, diese Bezeichnung.

Inwiefern?

Machon: Ihr Konzept der amerikanischen Dominanz und deren Auffassung, daß für die USA die Regeln nicht gelten halte ich für sehr gefährlich. Deren Geisteshaltung illustriert etwa das Beispiel des Telefons Ihrer Kanzlerin: Erst haben sie die Frechheit, es abzuhören, und dann reklamieren sie auch noch, das laufe unter „Krieg gegen den Terror“. Da wird doch klar, als was sie uns hier in Europa betrachten: Vasallen. Ich meine ja keineswegs nur Deutschland, das gleiche gilt für Großbritannien, Holland, Dänemark oder Schweden. Deutschland könnte sich immerhin wehren, aber Angela Merkel hat das bei ihrem Besuch in Washington leider versäumt. Die Botschaft ihres „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht!“ war doch lediglich: Sauer werde ich nur, wenn ihr euch erwischen laßt und ich dann ein öffentliches Problem habe! Wäre ich die NSA, hätte ich das so verstanden: Macht was ihr wollt, aber bitte kein neuer Snowden.

Der deutsche Generalbundesanwalt sieht sich nicht in der Lage, in der Sache NSA-Überwachung der Deutschen die Ermittlungen aufzunehmen, da ein Anfangsverdacht fehle. Ist das glaubwürdig?

Machon: Sehen Sie, beweisen kann ich es auch nicht. Aber nach all meinen Erfahrungen: Ich glaube das nicht. In Sachen Kanzler-Telefon wird ermittelt, aber sonst nicht: Für mich riecht das danach, daß die Politiker sich verbitten, was sie beim Volk wenig kümmert.

Muß Edward Snowden vor den Untersuchungsausschuß des Bundestages?

Machon: Ich sage nein! Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen. Aber hören Sie meine Erklärung: Er muß nicht in Deutschland anwesend sein, um befragt zu werden. Die Gefahr aber, während der Reise von US-Agenten kassiert zu werden, ist viel zu groß. Deshalb sollte er besser in Sicherheit bleiben.

Sie sagen, Deutschland wehrt sich nicht, und der Auschuß bringe wohl auch nichts. Hat die NSA also gewonnen?

Machon: Man könnte es fast glauben, aber ich sehe auf der anderen Seite, daß gerade in Deutschland, aber auch anderswo in der Welt ein zunehmend kritisches Bürgerbewußtsein entsteht. Übrigens auch immer mehr im Europäischen Parlament. Das ermutigt. Allerdings muß jedem klar sein, daß der Widerstand dagegen nie erlahmen darf, denn die Entwicklung bleibt ja nicht stehen. Jeder muß wissen, daß die Überwachung mit fortschreitender Technologie immer umfassender wird. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen zu warnen und uns zu wehren.

 

Annie Machon, diente als „intelligence officer“ beim britischen Inlandsgeheimdienst MI5, dem sie 1991 beitrat. Zunächst war sie in der Abteilung für irischen, später für internationalen Terrorismus tätig. 1997 stieg sie aus und brachte gemeinsam mit ihrem Kollegen David Shayler, der zeitweilig die Abteilung Libyen des Auslandsgeheimdienstes MI6 leitete, etliche Gesetzesbrüche des Secret Service an die Öffentlichkeit. Schließlich flüchteten beide ins Ausland, um einer Verhaftung durch die britischen Behörden zu entgehen. 2005 erschien ihr – leider nicht ins Deutsche übersetzte – Buch „Spies, Lies and Whistleblower. MI5, MI6 and the Shayler Affair “. (Spione, Lügen und Informanten. Der MI5, MI6 und die David-Shayler-Affäre.) Obwohl sie kein Deutsch spricht, lebt sie heute in Deutschland, weil hier das kritische Bewußtsein gegenüber Geheimdienstmachenschaften am entwickeltsten sei, so Machon. Geboren wurde sie 1968 auf der britischen Kanalinsel Guernsey. Studiert hat sie Altphilologie in Cambridge.

www.anniemachon.ch

Foto: Ex-Agentin Machon: „Uns droht tatsächlich so etwas wie eine globale Stasi. Die Leute glauben das nicht, weil sie es sich nicht vorstellen können. Aber das ist eine ernsthafte Warnung.“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen