© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Bei der AfD-Wahlparty im Maritim-Hotel muß jeder selbst für die Getränke zahlen – auf einmal verstehe ich die Südländer. Als Wahlsieger Lucke auf dem Podium zur „Familienaufstellung“ erscheint, kommentiert der Publizist Hugo Müller-Vogg schmunzelnd, wie fragwürdig das sei: als dezidiert nationale Partei dieses amerikanische Modell nachzuahmen. Wenig später ein beflissener SWR-Reporter zu einer jungen Mutter: „Darf ich Sie um ein Interview bitten? Weil Sie das Kind auf dem Arm haben – das ist ein bißchen ungewöhnlich.“ Völlig überfordert scheint auch Lutz van der Horst von der „heute-show“, der – mit einem zu einer Geißel geknüpften Seil in der linken Hand – unentschlossen auf das Geschehen blickt.

Montagmorgen. Dazu passend im Radio die Boomtown Rats mit „I Don’t Like Mondays“. Erinnere mich an die unverhoffte Begegnung mit dem Musiker und selbsternannten Globalisierungserlöser Bob Geldof im Pressezentrum am Ende des Gipfeltreffens in Heiligendamm. Obwohl ich Geldof in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz einst eine CD zugesteckt hatte und ihn hier endlich unter vier Augen hätte fragen können, wie er die Songs findet, war ich zu frustriert von all den gewaltsamen Protesten, dem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, dessen popkultureller Gralshüter er gewesen war, daß ich automatisch Abstand hielt – obwohl dort niemand außer uns war. Ich stand wohl neben mir.

Überall eilen Leute mit Zalando-Paketen an mir vorbei, die meisten offenbar auf dem Weg zur Post. Denke vor mich hin: „Return to sender – undressed, unknown“.

Gespräch zweier alter Männer in der U-Bahn, mit ihrem Gehör hadernd. Der eine erklärend zum andern: „Komponist oder Kommunist – das ist nicht so’n großer Unterschied, ist fast das gleiche.“

Vor dem Café auf dem Bürgersteig vorbeilaufendes junges türkisches Paar. Sie, erklärend: „Und ich werde natürlich niemandem sagen, daß ich Türkin bin.“ – Ist das jetzt ein Zeichen von gelungener Integration?

Ein Lokal am Kreuzberger

Fraenkelufer. In der Karte, die nur Lethe bietet, wird „Multikulti“ explizit als Credo ausgewiesen. Wie zum Beweis erscheint ein Zigeuner, der sich vor der Bar aufbaut, seine Mundharmonika zückt und sein Lied spielt, unterstützt durch den im rechten Arm gehaltenen Krückstock, den er rhythmisch auf das Pflaster stößt. Sofort eilt der Kellner herbei und erteilt ein Platzverbot.

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