© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Toleranter als gedacht
Studie: Eine Studie der Universität Leipzig zum Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft sorgt bei manchen für Enttäuschung
Lion Edler

Manchmal zeigt eine Studie schon in ihrem Titel, daß es bei ihr eher um Ideologie als um Wissenschaft geht. So auch im Falle der Universität Leipzig, die sich in ihrer neuesten Veröffentlichung mit Rechtsextremismus beschäftigt – oder mit dem, was sie dafür hält: „Die stabilisierte Mitte – rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“. Schon in dieser Überschrift wird deutlich, daß die Studie von dem linksideologischen Dogma ausgeht, wonach Rechtsextremismus nicht etwa ein Problem am Rand der Gesellschaft sei, sondern „aus der Mitte der Gesellschaft“ komme.

Dieses Weltbild zieht sich durch die gesamte Studie. Die Autoren Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brähler unterscheiden zunächst sechs „Dimensionen“ der rechtsextremen Einstellung: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Bereits bei dieser Einteilung stellt sich allerdings die Frage, wieso beispielsweise Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus automatisch „rechts“ sein sollen und nicht etwa auch innerhalb der Linken auftreten können. Wird dann aber noch die konkreten politischen Positionen betrachtet, die die Studie diesen Einstellungen zuweist, wird es endgültig hanebüchen. Als „Chauvinismus“ gilt beispielsweise die Zustimmung zu den Aussagen „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“ oder „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“. Überraschend ist da wohl eher, daß nur 29,8 Prozent beziehungsweise 21,5 Prozent der Befragten diesen Aussagen zugestimmt haben sollen.

Alte These wird aufgewärmte

Als „Ausländerfeindlichkeit“ wertet die Studie unter anderem die Aussage „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ (27,5 Prozent Zustimmung). Etwas deutlicher ist indes die fragestellung beim Antisemitismus. Als antisemitisch gelten die Aussage „Auch heute noch ist der Einfluß der Juden zu groß“ (11,6 Prozent) oder „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht recht zu uns.“

Auch in der Einleitung der Studie wird die These vom rechten Extremismus aus der Mitte aufgewärmt. So verweisen die Autoren auf den amerikanischen Soziologen Seymour Lipset, der die „klassischen faschistischen Bewegungen“ als einen „Extremismus der Mitte“ charakterisiert habe. Nach Ansicht der Verfasser scheint sich seit der Zeit des Nationalsozialismus nicht viel geändert zu haben. Denn die Studie macht klar, wer nach ihrer Ansicht die primäre „Bedrohung der demokratischen Gesellschaft“ darstellt: „Der Extremismus der gesellschaftlichen Mitte findet seinen Ausdruck in rechtsextremen Positionen.“

Die Wissenschaftler wissen auch schon, wer an der rechten Gefahr schuld ist: „Der Typus eines postautoritär-destruktiven Charakters“ entstehe nämlich „durch Eltern, die schlagen, weil sie die Stärkeren sind“. Die Erfahrung der „legitimen Gewalt des Stärkeren“ breche sich „gegenüber Schwächeren und Randgruppen beim Erwachsenen Bahn“. Der Gesellschaft sei jedoch auch nicht dadurch geholfen, daß Schüler und Erwachsene die Regeln nur unter Aufsicht einhielten. Denn eine Gesellschaft, „in der bildlich gesprochen vor jeder Tür ein Polizist steht, wäre funktionsunfähig“. Als eine solche Gesellschaft sehen die Autoren auch die Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre, die sie als „bürokratisch-autoritäre Gesellschaft“ abqualifizieren.

SPD fordert mehr Geld für „Kampf gegen Rechts“

Trotz der seltsamen Fragestellungen kommt die Studie der Universität Leipzig, die von 2006 bis 2012 in Kooperation mit dem Forum Berlin der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wurde, allerdings zu dem wenig alarmistischen Schluß, daß der Anteil der Personen mit einem „geschlossenes rechtsextremen Weltbild“ in Deutschland „klar zurückgegangen“ sei – von 9,7 Prozent im Jahr 2002 auf 5,6 Prozent im Jahr 2014.

Die Politik nutzte die Ergebnisse der Studie dennoch sofort, um die Verschärfung des „Kampfs gegen Rechts“ zu fordern. So sieht die Sprecherin der SPD-internen AG „Strategien gegen Rechtsextremismus“, Susann Rüthrich, „keinen Grund zur Entwarnung“, da der „Sockel menschenfeindlicher Einstellungen“ immer noch „beträchtlich“ sei. Für die SPD-Bundestagsfraktion fordert sie daher erneut „die Verstetigung der Bundesprogramme gegen Rechts und für Demokratie sowie qualifizierte Opferberatungsstellen und Prävention“. Ziel ist eine entsprechende Bundesstiftung.

Die stellvertretende Präsidentin des Bundestages, Petra Pau (Linkspartei), zieht aus der Studie den Schluß, daß „gesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ endlich „ausreichend“ unterstützt werden müßten. Außerdem seien Politiker „aller Couleur“ aufgerufen, „rassistische Grundeinstellungen nicht noch durch eigene Ressentiments zu verstärken“.

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