© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/14 / 13. Juni 2014

Schöne Worte statt zählbare Ergebnisse
Vertriebene: Auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg drängt sich die Frage des Eigentums in den Vordergrund
Gernot Facius

Bernd Posselt (CSU) kann niemand nachsagen, ihm mangele es an rhetorischem Geschick, kleine Schritte im (sudeten-)deutsch-tschechischen Verhältnis zu politischen Meilensteinen hochzujubeln. Die Pfingstbotschaft, mit der sich der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft auch in diesem Jahr aus der Fuggerstadt Augsburg meldete, lautete unter anderem: Die Aufarbeitung der Geschichte sei inzwischen eindeutig in der Mitte der (tschechischen) Gesellschaft angekommen, „weil die besten Köpfe des Nachbarvolkes diesen Weg seit Jahrzehnten mit großem Mut gegangen und bei uns auf aufgeschlossene Partner gestoßen sind“.

Nicht alle wollen die Beruhigungspille schlucken

Allerdings kommt auch der ewige EU-Optimist Posselt, der bei der Europawahl im Mai sein Mandat verlor, nicht um die bittere Erkenntnis herum, daß es „immer noch erhebliche Widerstände von seiten nationalistischer Betonköpfe“ gibt. Wie recht er hat. Am offiziellen Prager Echo auf Augsburg 2014 läßt sich diese Betonpolitik ablesen. Selbst die im Vergleich zu früheren Anlässen verhaltene, fast schüchterne Kritik der Landsmannschaft an den rassistischen, menschenrechtsfeindlichen Beneš-Dekreten, die zur Enteignung und schließlich zur Vertreibung von mehr als drei Millionen Deutschen führten („Gerümpel“, das weggeräumt werden sollte), beantwortete Ministerpräsident Bohuslav Sobotka ungerührt mit der Aussage: Seine Regierung sehe keinen Grund für ein Anzweifeln der Dekrete. Es gebe auch keinen Grund, daß die Vergangenheit „unsere derzeitigen hervorragenden Beziehungen mit Deutschland und Bayern verkompliziert“, setzte der Sozialdemokrat Sobotka mit Verweis auf die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 hinzu. Eine weitere kalte Dusche für die (naiven) EU-Enthusiasten. Sie hatten alle Register gezogen, um die Kritiker einer schnellen Einbindung Tschechiens in die „Wertegemeinschaft“ zu übertönen: Nach dem EU-Beitritt werde sich Prag leichter von den Unrechtsdekreten trennen. Ein Irrtum.

Einer solchen Argumentation ist, siehe Sobotka und Genossen, der Boden entzogen. Und es entbehrte nicht einer politischen Pikanterie, daß fast zeitgleich mit der EU-Aufnahme der Vertreiberpräsident Beneš in Tschechien immer wieder Ehren erfuhr. „Edvard Benesch hat sich um den Staat verdient gemacht“, so der Wortlaut eines der seltsamsten Gesetze Europas. Immerhin ist es gelungen, im Europaparlament die nach dem abgetretenen Präsidenten Vaclav Klaus genannte Klausel abzuwehren, mit der die Beneš-Dekrete formell Eingang in die europäische Rechtsordnung gefunden hätten. Ein Erfolg auch deutscher Abgeordneter um Bernd Posselt. Inzwischen hat die neue Regierung an der Moldau die ominöse Klaus-Klausel zurückgezogen. Ein „ermutigendes Zeichen der Offenheit“, kommentierte der SL-Sprecher diesen Vorgang. Ein großes Wort. Denn an dem tschechischen Insistieren auf der Fortexistenz der Dekrete ändert sich nichts. Eine Beruhigungspille, die längst nicht alle Sudetendeutschen zu schlucken bereit sind.

Augsburg 2014 hat vor Augen geführt, daß viele Vertriebene aus Böhmen, Mähren und Schlesien von ihren Repräsentanten mehr erwarten als die zu einem Ritual gewordene Beschwörung der gemeinsamen Geschichte der Völker der Wenzelskrone, sie wollen einen Dialog ohne Tabus. Es stößt ihnen bitter auf, daß in Teilen der Landsmannschaft darüber diskutiert wird, die Forderung nach Rückgabe des entzogenen Eigentums oder zumindest nach einer Entschädigung aus den Satzungszielen zu streichen. Hier bahnt sich eine heftige Kontroverse an. Die Spitze der Landsmannschaft in München, der Regierung Horst Seehofers (CSU), die aus Imagegründen auf einen konfliktfreien Kurs gegenüber Prag hinsteuert, treu ergeben, stellt sich in der Eigentumsfrage taub. Obwohl einst Helmut Kohl bei der Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung beteuert hatte, diese Frage bleibe „natürlich offen“. Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen.

Die im österreichischen Linz erscheinende Monatsschrift Sudetenpost startete just zu Pfingsten eine Umfrage: „Wer will auf sein Eigentum verzichten.“ Gern gesehen wurde das nicht: Die Regie des Sudetendeutschen Tages hat solche politisch unkorrekten Initiativen in eine abgelegene Ecke verbannt. Dabei zeigt die allerjüngste Geschichte, daß in anderen ehemaligen Vertreiberstaaten, darunter das verteufelte heutige Serbien, Entschädigungs- beziehungsweise Restitutionsverfahren möglich sind. Warum soll das im Verhältnis zur Tschechischen Republik ausgeschlossen sein? Ein Verzicht auf Eigentumsansprüche der Sudetendeutschen hieße die Enteignungsdekrete hinzunehmen. Diese Gefahr ist real. Trotz aller schönen Worte bei der großen Pfingstkundgebung vor Tausenden Sudetendeutschen auf dem Augsburger Messegelände. Seehofer hat, zum wiederholten Male, die Sudetendeutschen ein „Herzstück Bayerns“ genannt.

Für viele Vertriebenen sind die Worte kein Ersatz für eine Politik, die sich bemüht, die Wunden der Erlebnisgeneration zu heilen. Dazu gehört auch die ungelöste Eigentumsfrage. Davon war vom „Schirmherrn“ jedoch nichts zu hören.

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