© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Pinselohren mit Platzproblemen
Der Luchs soll in Deutschland wieder heimisch werden / Risiken und Nebenwirkungen
Daniel Strauss

Ein Luchs (Lynx lynx) erlegt jährlich etwa 80 Rehe. Die Luchsin, weil sie Nachwuchs zu versorgen hat, bringt es auf 100 Exemplare dieser Leibspeise des Jägers mit den markanten Pinselohren. In waldreichen, mit starken Luchspopulationen besetzten Territorien wie in Finnland kann ein solcher, für das einzelne Tier eher bescheiden anmutender Beutebedarf aber durchaus weitreichende Folgen haben, wie US-Biologen vor kurzem in einer Übersicht zu den ökologischen Auswirkungen auflisteten, die von großen Raubtieren in ihrem Lebensraum ausgehen (Science vom 10. Januar 2014).

Demnach dezimieren die Luchse des hohen Nordens den Rehbestand ihres Habitats so massiv, daß sich Waldbesitzer über geringere Verbißschäden an ihren Bäumen freuen dürfen. Die Raubkatzen halten zudem den Fuchs in ihren Revieren kurz, was Birk- und Auerhühnern sowie Schneehasen zugute kommt.

Im Harz kommt der Luchs an seine Grenzen

Das sind freilich Effekte zur Stabilisierung ökologischer Vielfalt, die von den schwachen, auf Harz und Bayerischen Wald beschränkten deutschen Luchsen nicht ausgehen. Und vielleicht nie ausgehen werden, wie der Luchsreport der Journalistin Franziska Konitzer andeutet (Bild der Wissenschaft, 5/2014). Denn im Bayerischen Wald stagniert die Populationsgröße auf dem niedrigen Niveau von kaum 40, überwiegend aus der Tschechei zugewanderten Tieren. Und selbst deren Zukunft schätzt die von Konitzer zitierte Sybille Wölfl, Leiterin des „Luchsprojekts Bayern“, eher pessimistisch ein, weil ihnen Wilderer nachstellen, die vermutlich in der Jägerschaft zu suchen seien, und die gegen die unbeliebten „Mitesser“ sogar Nervengift einsetzten.

Besser steht es um die Luchse im Harz. Dort stoße das 2000 vom Land Niedersachsen gemeinsam mit der Landesjägerschaft begonnene Wiederansiedlungsprojekt bislang nicht auf Widerstände wie in Bayern. Einer Online-Umfrage der Universität Hannover zufolge empfinden nämlich 82 Prozent der Teilnehmer die Rückkehr der scheuen, nur nachtaktiven Luchse als „positiv“, während das Wiederauftreten des weniger versteckt lebenden Wolfes größeres Unbehagen weckt.

Trotz höherer Akzeptanz auch in der Jägerschaft hat sich die Zahl der damals aus Wildgehegen freigesetzten 24 Tiere im Harz aber kaum verdoppelt. Platzprobleme sind schuld, da die einzelgängerischen Großkatzen Reviere von einigen hundert Quadratkilometern für sich abstecken. 13 Jahre nach Projektbeginn gelten die Territorien daher als verteilt. Langfristig hänge das Überleben der winzigen „Inselpopulation“ mithin von erfolgreicher Auswanderung in südlichere Mittelgebirgsregionen ab. Sonst drohe ihr Inzucht und Aussterben.

Augenblicklich, so schätzt Konitzer, überwiegt in dieser Hinsicht die Zuversicht, weil im Pfälzerwald die Auswilderung von 20 Luchsen bevorstehe, was den Exodus einiger Harzer Tiere erleichtern könnte. Ein Optimismus, der vielleicht einleuchtete, wenn die neue Nachbarschaft im nahen Hainich oder im Thüringer Wald begründet würde. Aber wie auswandernde Luchse es 400 Kilometer quer durch dicht besiedeltes, von Autobahnen zerschnittenes Land und über den Rhein hinweg schaffen sollen, in der Pfalz eine neue Heimat und neue Paarungspartner zu finden, diese Frage stellt Konitzer den „recht hoffnungsfrohen“ Harzer Luchsbetreuern wohl lieber nicht.

Foto: Eurasischer Luchs: Sein Lebensraum sind große Wälder mit dichtem Unterholz, das Deckung bietet. Das Männchen steckt Reviere von bis zu 450 Quadratkilometern ab – ein Problem im dichtbesiedelten Deutschland

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