© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

Krieg liegt in der Natur des Menschen
Der Publizist Wolf Schneider geht dem Soldatentum in all seinen Facetten auf den Grund
Erik Lehnert

In einem Land, in dem die als Zitat getarnte Verleumdung „Soldaten sind Mörder“ straffrei geäußert werden kann, hat es der Soldat schwer. Dabei wiegt die Tatsache, daß der deutsche Soldat aus den beiden Weltkriegen als Verlierer hervorging, weniger schwer als die Erfolge einer kleinen Minderheit, der es gelungen ist, die Hetze gegen das Soldatentum gesellschaftsfähig zu machen. Erst nachdem sich die Politik dazu durchringen konnte, den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr „Krieg“ zu nennen, gibt es zaghafte Versuche, den Soldatenberuf zu entdämonisieren und ihm etwas Anerkennung zukommen zu lassen.

Der bekannte Journalist Wolf Schneider hat dem Soldaten nun einen langen Nachruf geschrieben, weil die Zeit des Soldaten seiner Meinung nach vorbei sei. Heute würden Drohnenkrieg und Cyberwar lediglich von IT-Spezialisten geführt, und konventionelle Soldaten hätten gegen Partisanen kaum eine Chance. Daß diese These zumindest fragwürdig ist, kam in den meisten Besprechungen des Buches zum Ausdruck. Und in der Tat legt diese These einen zu engen Blick auf den Soldaten nahe. Denn Schneider meint nicht, daß die Zeit der großen Wehrpflichtarmeen vorbei ist (was vielleicht der Fall ist), sondern die des Soldaten überhaupt.

Aber selbst wenn wir die Minimaldefinition von Schneider zum Maßstab nehmen, nach der es sich beim Soldaten um einen Angehörigen der regulären Streitkräfte eines Staates handelt und den Soldaten so vom Söldner, Partisanen und Terroristen abgrenzen, trägt die These nicht. Dabei muß man noch nicht einmal auf die Tatsache verweisen, daß die Männer am Bildschirm, die die Drohne steuern, ebenfalls Uniform tragen und reguläre Soldaten sind. Jeder Krieg, der über eine Polizeiaktion hinausgeht, setzt im Zweifel den Soldaten voraus, der am Boden die Entscheidung sucht. Es ist gerade durch die asymmetrischen Kriege der letzten Jahre deutlich geworden, daß Luftschläge allein keine Befriedung herbeiführen können.

Insofern ist es merkwürdig, daß Schneider sein Buch mit dieser These in ein schiefes Licht rückt und damit verhindert, daß es angemessen diskutiert wird. Denn wie viele Besprechungen zeigen, halten sich die meisten Rezensenten an dieser These auf, ohne auf den eigentlichen Inhalt des Buches näher einzugehen. Dabei hat Schneider, wie er im Nachwort bekennt, mit dem Thema „Soldat“ auch ein Lebensthema abgehandelt, das ihn beschäftigte, seit er 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte. 1964 veröffentlichte er das „Buch vom Soldaten“. Der damalige Untertitel „Geschichte und Porträt einer umstrittenen Gestalt“ kommt dem Inhalt des aktuellen Buches durchaus nahe.

Die These spielt im Grunde nur im ersten Kapitel und im Resümee eine Rolle, der eigentliche Text, generell eine Hommage an das Soldatentum, bleibt davon fast unberührt. Und hier liegt die eigentliche Stärke des Buches: ein schlüssig gegliederter Gang durch die Geschichte des Soldaten, der gerade durch den systematischen Zugriff einige Einsichten bereithält, die durchaus zu diskutieren wären.

Vom Kampf Mann gegen Mann bis zum Bombenkrieg

Zunächst geht es Schneider um die Frage, welche anthropologischen Wurzeln der Krieg und damit das Soldatentum haben, wie aus der Menschenjagd und dem Zweikampf regulierte Auseinandersetzungen von Massenheeren bestehend aus Wehrpflichtigen wurden. Im dritten Kapitel wendet er sich den Bewaffnungen und damit auch der Form der Auseinandersetzung zu, deren Spektrum vom Nahkampf Mann gegen Mann bis zum Bombenkrieg reicht. Der Kern des Buches ist allerdings das vierte Kapitel „Wofür sie starben“, das eine weitgefaßte Anthropologie der Kriegsgründe bietet.

Die Palette reicht dabei von der Begeisterung, die Feldherrn und Soldaten gemeinsam in den Kampf treibt, bis zum Zwang, sei es durch Gewalt oder den Umweg positiver Anreize, mit dem die Führer Soldaten zum Krieg motivieren. Allerdings, und auch das vermerkt Schneider, gibt es durchaus Fälle, in denen die Soldaten den Feldherrn in die Schlacht trieben, einfach weil die Abenteuerlust der Jugend nicht anders zu bändigen war. Wer solches liest, merkt, wie weit Schneider von den einfachen Zuschreibungen entfernt ist. Es gibt nicht immer eine kleine Clique von Kriegstreibern, die die Masse in das Unglück des Krieges stürzt. Daß es das auch gibt, weiß Schneider durchaus, wenn er den Überfall der Japaner auf Pearl Harbor als das bezeichnet, was er war: „sehr wahrscheinlich“ ein Betrugsmanöver der Vereinigten Staaten, die ihrer kriegsunwilligen Bevölkerung einen Kriegsgrund präsentieren wollten.

Ist der Krieg einmal vom Zaun gebrochen, so Schneider, interessieren sich diejenigen am wenigsten für die moralischen Gründe, die davon am meisten betroffen sind: die Soldaten. Schneider bleibt auch hier um Differenzierung bemüht und schildert den Soldaten nicht einseitig als jemanden, der sich vor allem als gewissenlose Tötungsmaschine definiert. Neben dem Leid, für das Soldaten verantwortlich waren, schildert Schneider eindringlich die Opfer, die Soldaten im Krieg bringen müssen, was von mangelnder Hygiene im Feld bis zum Erfrierungstod vor Stalingrad und dem Verrecken in Gefangenschaft reicht. Aber auch den Helden vergißt Schneider nicht zu erwähnen, wenngleich er hier sehr zurückhaltend ist und der Gestalt des Helden keineswegs gerecht wird, wenn er vor allem das Heldentum der Beharrlichkeit thematisiert.

Ähnlich differenziert ist auch das Schlußkapitel, in dem Schneider nach individuellen und kollektiven Möglichkeiten fahndet, sich dem Soldatsein und damit dem Krieg zu entziehen. Im Pazifismus sieht Schneider ganz eindeutig keine realistische Option, und auch das von ihm diagnostizierte Ende des Soldaten werde Kriege nicht obsolet machen. Dafür liegt der Krieg zu sehr in der Natur des Menschen begründet, die sich immer wieder neue Wege sucht, diesem Trieb zu folgen. Vielleicht ist es diese, heute skandalöse Einsicht, die Schneider hinter seiner These vom Ende des Soldaten verstecken möchte: Der einseitige Verzicht auf die Option Krieg wird den Krieg nicht abschaffen.

Wolf Schneider: Der Soldat – Ein Nachruf. Eine Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien. Rowohlt Verlag, Reinbek 2014, gebunden, 543 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

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