© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

DVD: Ossessione
Sinnliche Kraft
Werner Olles

Der französische Regisseur Pierre Chenal verfilmte 1939 den Roman von James M. Cain „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ zum ersten Mal. Leider ist bis heute von diesem Original („Le Dernier Tournant“) keine deutsche Fassung erschienen. Dafür nahm sich Hollywood zweimal des Stoffes an. Tay Garnetts 1946 atmosphärisch dicht, aber psychologisch oberflächlich inszenierter Film „Im Netz der Leidenschaften“ begründete die Karriere der beiden Hauptdarsteller Lana Turner und John Garfield. Bob Rafelsons Remake „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (1981) ist ebenfalls ein gut gespielter – Jack Nicholson und Jessica Lange überzeugen als in verbrecherische Leidenschaft verfallenes Liebespaar – melodramatischer Kriminalfilm mit sozialkritischen Akzenten.

Die beste Verfilmung des Romans ist zweifellos Luchino Viscontis 1942 gedrehter Film „Ossessione – Von Liebe besessen“. In der Arthaus Retrospektive ist nun die ungekürzte Fassung erschienen, die im faschistischen Italien wegen der ungewöhnlich offenen Darstellung einer verbotenen, an gesellschaftlichen Normen scheiternden Liebe das Mißfallen der Zensur erregte und nur gekürzt erscheinen durfte.

Gino (Massimo Girotti), ein Wanderarbeiter, findet in der Po-Ebene Unterkunft und Beschäftigung bei einem Tankstellen- und Trattoriabesitzer, mit dessen junger Ehefrau Giovanna (Clara Calamai) er ein leidenschaftliches Liebesverhältnis beginnt. Die zunehmend skrupellosere Glückssehnsucht des Paares treibt es zum Mord am Ehemann. Doch die Folgen der Tat zerstören alle Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft.

Viscontis meisterhafter Erstlingsfilm zeichnet sich durch sinnliche Kraft, exakte Milieuschilderung und eine differenzierte Moral aus. Die Einbeziehung sozialer Verhältnisse und authentischer Schauplätze in die Handlung begründete einen neuen Stil im italienischen Film, erstmals entwickelten Kritiker anhand von „Ossessione“ den Begriff „Neorealismus“. Visconti fügt hier die kriminalistischen und melodramatischen Elemente in ein kritisches Zeitbild ein, ohne die Lebendigkeit der Figuren, die Kargheit der Landschaft und die Ärmlichkeit der Menschen in den billigen Kneipen und auf den staubigen Landstraßen zu schwächen. „Ossessione“ ist ein grandioser, überwältigender Film.

DVD: Ossessione – Von Liebe besessen. Studiocanal/Arthaus 2014, Laufzeit etwa 135 Minuten

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