© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/14 / 06. Juni 2014

So wenig CSU wie nie
Europawahl: Das schlechte Abschneiden der Partei ist kein Betriebsunfall, sondern ein Zeichen des Verfalls
Paul Rosen

Nach dem Absturz der CSU bei den Europawahlen hat sich der Eindruck festgesetzt, Ursache des Debakels sei der von Parteichef Horst Seehofer zuletzt eingeschlagene euroskeptische Kurs. Selbst aus der CSU sind solche Töne zu hören: „Man soll nie versuchen, das Stinktier zu überstinken“, ist von Bernd Posselt, einem jetzt ausscheidenden CSU-Europaabgeordneten, zum Erfolg der Euro-kritischen Alternative für Deutschland (AfD) zu vernehmen.

Doch die Dinge liegen komplizierter, und wer die Gründe für das schlechteste Abscheiden der CSU seit 1954 nur in einer in sich widersprüchlichen Haltung der Partei sieht, macht sich die Sache zu einfach. Die Janusköpfigkeit hat in der CSU Tradition und wurde schon von dem jetzt wieder häufiger zitierten Franz Josef Strauß praktiziert. In Bayern wurde auf Bonn geschimpft, und in Bonn erledigte die CSU kleinlaut das Regierungsgeschäft der CDU mit. Das hat der Partei über Jahrzehnte hohe Wahlsiege beschert. Das soll plötzlich komplett anders geworden sein?

Die Partei hat ihre zentrale Rolle verloren

Der Unterschied zu den Zeiten von Strauß ist: So wenig CSU wie heute war nie. Die Partei hat mit der Europawahl ihre frühere zentrale Rolle, der Union durch ihre Vorherrschaft in Bayern Ergebnisse von deutschlandweit deutlich über 40, ja über 45 Prozent zu besorgen, verloren. Die CSU spielt außerhalb Bayerns praktisch keine Rolle mehr. Dies ist aber keine Folge der Europawahl, sondern Folge eines langsamen Auszehrungsprozesses der CSU, der etwa 2007 mit dem Sturz von Edmund Stoiber begann. Stoiber hatte eine Zweidrittelmehrheit im Landtag geholt und die Partei damit an einen historischen Höhepunkt geführt. Seitdem geht es bergab. Stoibers Epigonen Erwin Huber und Günther Beckstein konnten die einsetzende Talfahrt nicht stoppen, Seehofer schien mit der Landtagswahl 2013 die Kehrtwende gelungen zu sein. Doch selbst angesichts dieses Erfolges redete vom früher aufgestellten „bundespolitischen Anspruch“ der CSU niemand mehr.

Die weitverbreitete Ansicht einer CSU-Reconquista scheint ein Irrtum gewesen zu sein. Seehofers Triumph des Rückgewinns der absoluten Mehrheit im Landtag mit rund 47 Prozent der Stimmen lag am Abstieg der FDP. Schon vorher hatten die Freien Wähler Filetstücke aus dem Fleisch der CSU geschnitten und behalten. In Wirklichkeit ist das Ergebnis der Europawahl von 40 Prozent das ehrlichere Ergebnis gewesen.

Der Zerfall läßt sich an mehreren Bereichen festmachen: Das Berliner Personal der CSU, früher Aushängeschild bayerischer Politik und verbunden mit Namen von Fritz Schäffer über Strauß, Friedrich Zimmermann, Theo Waigel, Peter Ramsauer und Michael Glos, ist kaum noch drittklassig zu nennen. Auf den ehemaligen CSU-Generalsekretär und jetzigen Verkehrsminister Alexander Dobrindt wurde man erst aufmerksam, als er sich mit neuer Brille, Frisur und besser einstudierter Gestik in Szene zu setzen begann. Die anderen CSU-Minister, Gerd Müller (Entwicklungshilfe), und Christian Schmidt (Landwirtschaft) kennt außerhalb ihrer Wahlkreise kaum jemand. Auch die Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt kommt aus dem Schatten von Vorgängern wie Ramsauer, Glos und Waigel nicht heraus. Selbst Wolfgang Bötsch hinterließ tiefere Spuren.

Nächster Punkt: Die SPD inszenierte eine Intrige in der Großen Koalition, und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entließ daraufhin den CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich, obwohl dieser sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Merkel wäre früher auf erbitterten Widerstand der CSU gestoßen, und dieser Widerstand hätte den untadeligen Friedrich im Amt gehalten. Jetzt stieß sie in ein Vakuum vor. Seehofer ist, auch wenn ihm Huber vorwirft, die Partei im „Stil des 19. Jahrhunderts“ zu führen, in Wirklichkeit ein Zauderer und Taktierer.

Einen weiteren wichtigen Grund hat der frühere Landtagsfraktionschef Alois Glück oft genannt: Die Milieus der Partei brechen weg. Die Gebirgsschützen haben zuwenig Nachwuchs, die Trachtenvereine bluten aus. Die Symbiose von Laptop und Lederhose war einmal. Der Generation Smartphone hat die CSU nichts mehr anzubieten, kann auch mit der zweiten Führungsreihe mit Markus Söder, Ilse Aigner, Andreas Scheuer, Markus Ferber und Manfred Weber keinen Sinn mehr stiften. Sie alle wirken seltsam kraftlos.

In diesen Tagen ist nicht mehr die Frage entscheidend, ob die CDU/CSU mit der AfD koalieren soll, wie Erika Steinbach befürwortet und Volker Kauder vehement ablehnt (siehe Artikel auf dieser Seite). Sondern es geht darum, daß das Volksparteien-Modell jetzt auf der bürgerlichen Seite zu kollabieren beginnt, nachdem die SPD bereits teilweise ausgeblutet ist. Der Wiederaufstieg der SPD bei der Europawahl von 20 auf 27 Prozent habe nichts mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz zu tun, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Forsa, sondern sei eine Rückkehr zu den bisherigen Normalwerten nach einer Krise vor fünf Jahren.

Spinnt man den Faden weiter, gibt es mit SPD, Grünen und Linken drei gefestigte linke Parteien. Denen stehen die teilweise kollabierende Union und eine noch labile AfD gegenüber. Die FDP hat zu existieren aufgehört. Die Neuformierung des Parteiensystems in Deutschland steht erst am Anfang.

Foto: CSU-Chef Horst Seehofer: Die Berliner Ministerriege ist kaum noch drittklassig zu nennen

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