© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Falsche Thesen gegen die Schönfärberei
Hamed Abdel-Samads Kritik am „islamischen Faschismus“ schießt über das Ziel hinaus
Tilman Nagel

Es fällt vielen Muslimen schwer zu erkennen, daß Freiheit und Demokratie sich nicht vertragen mit dem Gedanken, daß der Mensch durch ein himmlisches Wesen ferngesteuert wird.“ Nicht der Glaube eines Menschen sei entscheidend, sondern sein Handeln, und keine Ideologie sei es wert, daß man für sie töte oder das eigene Leben hingebe. Mit diesen Gedanken, denen es uneingeschränkt beizupflichten gilt, endet Hamed Abdel-Samad seine Analyse des „islamischen Faschismus“.

In welche Gefahr er sich mit solchen Äußerungen begibt, ist ihm bewußt. Zwar gilt der Islam bei der erdrückenden Mehrheit seiner Bekenner und auch bei den korrekt Meinenden unter den Publizisten und Wissenschaftlern, die über ihn schreiben, als tolerant, urdemokratisch, aufgeklärt und was der schönen Charakteristika mehr sein mögen. Aber mit welchem Furor manche Muslime gegen Freidenker in den eigenen Reihen vorgehen, ist vielfach belegt, hat freilich, so die korrekt Meinenden, mit dem Islam nichts zu tun. In Wahrheit sind es jedoch gerade die autoritativen Texte des Islams, der Koran und die Prophetenüberlieferung, die von den Muslimen das Einschreiten gegen „Abtrünnige“ nicht nur gutheißen, sondern fordern. Diese Tatsache wird in den öffentlichen Debatten über den Islam in der Regel ausgeblendet, damit niemand erkenne, daß der schöne Schein eben nur Schein ist.

Mutig setzt der Verfasser dem Gaukelbild die Wirklichkeit entgegen, deren Grundzüge er mit den Begriffen Antisemitismus, Knebelung der Gedankenfreiheit, Terrorismus und gescheiterte Staaten, Dschihad und „Pornotupia“ des Paradieses, die „islamische Bombe – schiitischer Faschismus“, „Salafisten und Dschihadisten in Europa“ einzufangen sucht. Es versteht sich von selbst, daß bei dem knappen Umfang des Buches diese Themen jeweils nur angerissen werden können. Der am Weltgeschehen interessierte Leser wird in diesen Kapiteln nicht viel Neues entdecken.

Je weiter die Lektüre fortschreitet, desto klarer wird einem aber, daß der Untertitel „Eine Analyse“ leider in die Irre führt. Es verstärkt sich der Eindruck, daß sich der Autor seinen berechtigten Zorn von der Seele geschrieben und, einmal in Schwung, sich nicht mehr die Zeit zum Überdenken des Geschriebenen gegönnt hat. So stößt sich der Leser an vielen Ungenauigkeiten und Fehlern in der Sache. Es ist nicht richtig, daß Mohammed bei seinem Tod „Zigtausende Hadithe“ hinterließ – es gab sie damals noch gar nicht. Mohammed nannte seine Gebote auch nicht Scharia – diese ist erst das Ergebnis späterer Entwicklungen. Ahmad bin Hanbal (gestorben 855) gründete keine Rechtsschule, auch keine „konservative“. Der Dschihad wurde nicht erst durch Saijid Qutb (1906–1966) „privatisiert“, und wenn alle Größen der islamischen Philosophie dem 9. und 10. Jahrhundert zugewiesen werden, beschleicht den Leser die Vermutung, für den Verfasser seien das alles bloße Namen. Es mag als Beckmesserei gescholten werden, wenn ich dem Autor seine Unsicherheit in Grundtatsachen der Kultur, aus der er stammt, vorhalte. Indessen muß sich sein Buch gegen die notorischen Schönfärber des Islams behaupten, die eine veröffentlichte Meinung in Deutschland beherrschen. Ihnen wird es leichtfallen, aus derlei Irrtümern und Flüchtigkeiten ihre Argumentationskette gegen den Autor selber zu knüpfen und dann im zweiten Schritt gegen die Berechtigung seines Anliegens.

Falsche Etikettierung für Erscheinungen des Islam

Diese Berechtigung ist ohne Frage gegeben, wie die vom Autor aufgezählten Fakten belegen. Sie ließen sich beliebig vermehren. Für den Autor sind sie Erscheinungsformen eines „islamischen Faschismus“. Was er darunter versteht, bleibt freilich verschwommen. „Rechte“ und „Linke“ definieren den Begriff des Faschismus entsprechend ihrer jeweiligen Weltsicht unterschiedlich. Davon unabhängig gilt jedoch, daß der Faschismus auf dem Boden des modernen, säkularisierten Staates heranwuchs, den der Islam niemals herausbildete. Das wirft die Frage auf, was ein islamischer Faschismus eigentlich sein soll, und schließlich gewinnt der Leser den Eindruck, daß „Faschismus“ für den Verfasser keine genauere Bedeutung hat als das „Gefällt mir nicht“-Symbol im Internet. Er hat diesen Mangel selber bemerkt und versucht deswegen, ihn nebenbei zu beheben, was nicht gelingt.

Großes Erstaunen verursacht die These, daß der Monotheismus mit dem Faschismus „verwandt“ sei. In der Geschichte der von Gott beziehungsweise Allah Abraham abverlangten Opferung seines Sohnes Isaak oder Ismael nimmt der Verfasser „zwei zentrale Aspekte des Faschismus“ wahr: Abraham sei bereit, die Befehle Gottes, seines „Führers“, auszuführen, ohne den Sinn oder moralischen Gehalt dieses Befehls in Frage zu stellen. Bedingungsloser Gehorsam und Opferbereitschaft bis zum Äußersten seien für den Faschismus charakteristisch. Wenn man sich erst einmal eine derart bequeme Begriffsbasis geschaffen hat, dann läßt sich vieles finden, was einem zupaß kommt. Hasan al-Banna, der Gründer der Muslimbruderschaft, setzte große Hoffnungen auf Mussolini und Hitler und sprach sich für eine am Vorbild Italiens ausgerichtete Militarisierung der muslimischen Gesellschaft aus. Zeugt es von einem faschistischen Denken al-Bannas, wenn dieser zur Deutung der Rolle Mussolinis indirekt Ibn Haldun (1332–1406) mit der Ansicht zitiert, dem Wohlleben verfallene Völker büßten ihren Kampfgeist ein und unterlägen den weniger zivilisierten? Daß die Faschisten in Italien und die Nationalsozialisten mit den Muslimbrüdern und ihnen nahestehenden Kreisen zu kooperieren hofften, hängt mit den obwaltenden geopolitischen Fakten zusammen und nicht mit einer Verwandtschaft im Gedankengut.

Indem Abdel-Samad bestimmten Erscheinungen der islamischen Kultur das Etikett „faschistisch“ aufklebt, trägt er leider nichts zur Aufklärung über das dem Islam eigene Phänomen bei, das als „endogenen Radikalismus“ bezeichnet wird. Wer diesen verstehen will, kommt an einem Studium der Erkenntnisse der Religionswissenschaft nicht vorbei. Hamed Abdel-Samad hat es sich erspart, und damit überläßt er gegen seine erklärte Absicht weiter den Schönfärbern das Feld. Schade!

 

Prof. Dr. Tilman Nagel lehrte von 1981 bis 2011 Arabistik an der Universität Göttingen und gilt in Deutschland als einer der führenden Islamexperten.

Hamed Abdel-Samad: Der islamische Faschismus. Eine Analyse.

Droemer Verlag, München 2014, gebunden, 223 Seiten, 18 Euro

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