© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Durch Eurasien in die Freiheit
Wie eine spektakuläre Flucht aus der DDR über die Mongolei und China im Sommer 1987 ein ambivalentes Ende nahm
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Es gibt viele Schilderungen von tollkühnen Fluchtversuchen aus dem damaligen SED-Staat. Aber das Buch von Peter Wensierski, das nach knapp zwölf Wochen bereits in der sechsten Auflage vorliegt, beinhaltet das nahezu unglaubliche und wohl einmalige Schicksal einer Flucht, welche über die Sowjetunion nach Peking führte und von dort dann endlich in den freien Teil Deutschlands.

Es beginnt 1987 mit dem Wunsch eines Ost-Berliner Studenten und einer Kommilitonin, die Mongolei zu bereisen. Nach einer alten Vorlage fälscht er eine Einladung des Bergsteigervereins von Ulan Bator, die als Voraussetzung für ein Visum notwendig ist. Und das fast Unmögliche wird möglich, beide erhalten – vielleicht versehentlich – sogar Pässe, die sonst lediglich privilegierten DDR-Bürgern zustehen. Mit einer Bahnfahrtkarte erreichen beide Moskau und dann geht es per Flugzeug nach Irkutsk. In der Transsibirischen Eisenbahn lernen sie einen Pilot kennen, der sie bei seinen Versorgungsflügen in die Mongolei mitnehmen will. In Ulan Bator haben sie die Adresse eines Schriftstellers, der einst in Leipzig studierte. Die beiden werden wie alte Freunde empfangen, Agrarflugzeuge und Lastkraftwagen bringen sie weiter. List und Tücke lassen alle Kontrollen überwinden, viel Glück und Zufall sind fast immer ihre Reisebegleiter. Sie ergattern ein Visum für China, erleben die Hauptstadt der Inneren Mongolei und auch Schanghai; mit einer Gruppe Japaner besuchen sie die Chinesische Mauer.

Nach einer Reise von 10.806 Kilometern stehen die zwei DDR-Deutschen vor der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist dann auch der inhaltliche Höhepunkt des Buches mit all seiner Tragik. Denn über die Frage, dort einen westdeutschen Paß zu bekommen und damit in die Freiheit zu gelangen, sind die zwei Liebenden uneins: Er will nicht in die DDR zurück, längst hat er den Glauben an die SED verloren. Eine solche Chance wie jetzt werden wir nie wieder erhalten, argumentiert er. Sie hingegen will aus ihrer Heimat „nicht einfach davongehen“.

Aus Angst vor Sippenhaft kehrt sie in die DDR zurück

Das Wort Sippenhaft benutzt sie nicht direkt, aber ihre Gedanken sind bei den zurückgebliebenen Angehörigen: „Aber welche Chance hat meine jüngere Schwester dann noch, ihr Studium fortzusetzen, wenn ich abgehauen bin? Kann mein Vater dann noch bei der DEFA bleiben? Es geht doch nicht nur um mich. Unser Leben gehört nicht uns allein.“ Beide sehen ein, wohl jeder muß seinen eigenen Weg gehen. „Aber wenn du gehst und ich nicht, dann gibt es uns nicht mehr“, gesteht sie ein. Und geht zum Zug in Richtung Warschau und Ost-Berlin.

Er erhält den bundesdeutschen Paß, reist nach Hongkong. Ein Zufall läßt ihn als Dokumenten-Überbringer beim Paketdienst TNT nach London fliegen, als Tramper überquert er den Kanal, ein belgischer Fahrer nimmt ihn mit nach Bonn. Von dort ist es nur ein kurzer Flug nach West-Berlin. Später fällt die Mauer, doch die Wege der zwei haben sich endgültig getrennt. Es bleibt ihnen nur die Erinnerung an eine verrückte Zeit.

Peter Wensierski: Die verbotene Reise. Die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht. Deutsche Verlags- Anstalt, München 2014, gebunden, 256 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro

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