© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Das Papiergeld, der Zwang zum Schuldenmachen und der Niedergang der Familie
Subvention des Werteverfalls
Philipp Bagus

Eine oft vernachlässigte Auswirkung eines immateriellen Zwangsgeldsystems bezieht sich auf die Werte und Kultur, die in einer Gesellschaft vorherrschen. In einem solchen ungedeckten Geldsystem gehen die Kosten der Geldproduktion gegen Null; im Gegensatz zu einem Warengeldsystem wie dem Goldstandard, in dem neues Gold unter größten Mühen und Kosten geschürft wird. Die Herstellungskosten einer Eurobanknote sind vernachlässigbar. Ohnehin wird heute der Großteil neuen Geldes am Computer in Form von Buchungseinträgen geschöpft – praktisch ohne Kosten.

In einem solchen System ist damit zu rechnen, daß diejenigen, die praktisch kostenlos neues Geld produzieren können, in unserem Falle Notenbanken und Geschäftsbanken, auch von diesem Privileg Gebrauch machen werden. Die Geldmenge wird kontinuierlich ansteigen, mal langsamer, mal schneller.

Zwar steigt auch in Warengeldstandards wie einem Goldstandard die Geldmenge kontinuierlich, im langjährigen Durchschnitt zwischen ein und zwei Prozent. Jedoch ergibt sich bei einem Produktivitätsanstieg von beispielsweise drei Prozent pro Jahr eine Tendenz zu sanft fallenden Preisen. Im Unterschied zum Goldstandard kann die Geldmenge in einem immateriellen Zwangsgeldsystem beinahe kostenlos und unbegrenzt erhöht werden. So wuchs die Geldmenge in der Eurozone im Boomjahr 2007 um über zehn Prozent. In einem Papiergeldsystem ergibt sich daher eine Tendenz zu stetig steigenden Preisen. Und selbst langsam steigende Preise haben drastische Auswirkungen im Zeitverlauf.

Bei einer Teuerungsrate von nur zwei Prozent pro Jahr – bei dieser Rate sieht die Europäische Zentralbank übrigens „Preisstabilität“ als gegeben an – verliert das Geld in nur 20 Jahren die Hälfte seiner Kaufkraft. Ein Zurücklegen von Ersparnissen in Form von Bargeld, wie es in einem Goldstandard mit tendenziell sinkenden Preisen angebracht ist, erweist sich in einem solchen System als sicheres Verlustgeschäft. Vielmehr lohnt es sich, in Vermögenswerte anzulegen, deren Preisentwicklung mit der Teuerung mithält oder sie noch übersteigt. Der schuldenfinanzierte Kauf von Vermögenswerten wie Immobilien oder Aktien ist zudem interessant, weil die Teuerung die Schulden im Laufe der Zeit entwertet. Sich größere Objekte wie Immobilien ohne Schuldenaufnahme zuzulegen, wird in unserem Geldsystem zunehmend erschwert. Denn die Barersparnisse werden nicht nur stetig durch die Inflation entwertet, auch wird der Preis von Immobilien langfristig kaum sinken.

Die Lösung der institutionellen Zwänge besteht darin, sich so früh und so großzügig wie möglich zu verschulden. Dabei sollte das Schuldenwasser gerade so bis zum Hals stehen, denn dann lassen sich bedeutende Vermögens­objekte erwerben, bevor sie im Preis steigen. Kurzum treibt unser gegenwärtiges inflationäres Staatsgeldsystem die Menschen frühzeitig in die Verschuldung. Wer sich nicht verschuldet, droht abgehängt zu werden und unterzugehen. Denn die Preise laufen ihm davon.

Statt einfach in bar zu sparen wie in einem Goldstandard, ist es wichtig geworden, sich zeitintensiv mit Geldanlagen und Finanzmärkten auseinanderzusetzen, um wenigstens den Wert der Ersparnisse zu erhalten. Zeit für die Mitmenschen fehlt.

Kommen wir zum entscheidenden Punkt: Wer (hoch) verschuldet ist, für den wird Geld tendenziell im Vergleich zu anderen Dingen wichtiger werden. So nimmt durch die Last der Schulden der Druck im Beruf zu. Um Überstunden kommt man nicht herum. Es wird mehr Zeit zum Geldverdienen und für den Schuldendienst verwendet. Generell wird monetär entlohnte Arbeit wichtiger im Vergleich zu anderen Tätigkeiten.

Zeit ist in einer Schuldenwirtschaft Geld. Da die Bedeutung von Geld zum Schuldenbegleichen zunimmt, haben die Menschen tendenziell immer weniger Zeit für die Familie, ehrenamtliche Tätigkeiten, Reisen, Kultur, tiefsinniges Nachdenken, Auszeiten, tiefschürfende Gespräche oder auch religiöse Aktivitäten. Statt einfach in bar zu sparen wie in einem Goldstandard, wird es nun wichtig, sich zeitintensiv mit Geldanlagen und Finanzmärkten auseinanderzusetzen, um wenigstens den Wert der Ersparnisse zu erhalten. Daher wird weniger Wert auf zeitintensive, aber monetär nicht direkt rentable Tätigkeiten gelegt. Es leiden Erziehung, Bildung und gute Manieren. Statt die Mitmenschen sind den Menschen ihre Schulden das Nächste. Die Gesellschaft wird zunehmend materialistischer und egoistischer.

Das Geldschaffen aus dem Nichts ermuntert auch den leichtfertigen Konsum. Anstatt erst zu arbeiten und fleißig zu sparen, bietet sich im Papiergeldsystem die Möglichkeit, zu künstlich niedrigen Zinsen Fernseher, Reisen und Kühlschränke zu erwerben. Warum warten und sparen, wenn der Konsum schon jetzt möglich ist, zu Niedrigzinsen finanziert? Geduld ist nicht mehr nötig, und zum Teil sogar nachteilig, da die Konsumgüter ja immer auch teurer werden. Die Kreditkonsumgesellschaft ist mithin auch eine Folge unseres Geldsystems.

Die Unternehmenskultur bleibt vom Geldsystem nicht unberührt. Statt durch Eigenkapital werden die Unternehmen in einem Zwangsgeldsystem zunehmend mittels Kredit finanziert. Denn das Geld für die neuen Kredite wird aus dem Nichts geschaffen und zu Niedrigzinsen vergeben. Wer sich dieses neue Geld als erstes schnappt, hat einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten, die sich überwiegend aus Eigenkapital finanzieren. Die Verschuldungsgrade von Unternehmen steigen in der Papiergeldwelt tendenziell an.

Die Unternehmer verlieren dadurch ihre Unabhängigkeit. Sie werden immer abhängiger von Fremdkapitalgebern und vor allem dem Bankensystem. Eigenkapitalfinanzierte Unternehmer, man denke beispielsweise an ein Familienunternehmen, verfolgen unabhängig ihre Ziele. Werte wie Treue zur Belegschaft, Solidität und langfristiges Planen können florieren. Diese Werte können jedoch nicht mehr konsequent verfolgt werden, sobald man von Fremdkapitalgebern abhängig wird, die durch ihre Ferne zum betrieblichen Alltag ein höheres Gewicht auf die kurzfristige Gewinnmaximierung legen.

Überhaupt wird in der Schuldenwirtschaft ein guter Draht zum Bankensystem, um schnell und günstig an Kredite zu kommen, zu einem entscheidenden unternehmerischen Wettbewerbsvorteil. Andere unternehmerische Eigenschaften wie Solidität, langfristiges Denken und ein Talent, bessere Produkte zu immer günstigeren Preisen auf den Markt zu bringen, treten dafür leicht in den Hintergrund. Hinzu kommt, daß langfristiges Planen durch die im teilgedeckten Papiergeldsystem wiederkehrenden Konjunkturzyklen erschwert wird.

Das Geldschaffen aus dem Nichts ändert auch systematisch die Eigentümerstruktur in der Gesellschaft. Hauptsächlich über Eigenkapital finanzierte Familienunternehmen haben es schwer. Es häufen sich die Unternehmensübernahmen, finanziert durch billige Kredite, die sogenannten leveraged buyouts. Statt Familienunternehmen bestimmen die als „Heuschrecken“ bekannt gewordenen, kreditgehebelten Fonds den Unternehmensalltag. Statt langfristig für den gleichen Eigentümer zu arbeiten, steht die Belegschaft ständig wechselnden Eigentümern gegenüber. Die Verbundenheit zum Unternehmen wird geschwächt. Manager werden immer mehr zu Söldnern, die mal diesem, mal jenem Eigentümer dienen, wenn sie überhaupt wissen, wer gerade das Unternehmen besitzt.

Die kulturellen Folgen eines immateriellen Zwangsgeldsystems wie dem unseren sind mithin viel tiefgehender, als man vielleicht auf den ersten Blick vermutet. Vor allem sind sie für das Wertesystem, auf dem die Gesellschaft ruht, verheerend.

Anstatt langfristig Werte zu schaffen, zielen die Manager zunehmend selbst auf das schnelle Geld ab. Denn wer weiß bei den wiederkehrenden Konjunkturzyklen schon, was in zehn Jahren sein wird? Daher besser die guten Zeiten ausnutzen und einen Bonus mitnehmen, auch wenn das bedeutet, daß etwas gemacht wird, was dem Unternehmen möglicherweise langfristig schadet. Dabei spielt auch der eigene Schuldendruck bei den Managern eine Rolle. Denn wenn sie der Papiergeldlogik folgen, verschulden sie sich in jungen Jahren, um Vermögensgüter zu erwerben. Sie stehen also unter großem Druck, möglichst schnell möglichst viel Geld zu machen, auch wenn das auf Kosten des langfristigen Erfolgs des Unternehmens geht.

Die kulturellen Folgen eines immateriellen Zwangsgeldsystems sind mithin viel tiefgehender, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Vor allem sind sie für das Wertesystem, auf dem die Gesellschaft ruht, verheerend. Bisher sind wir noch nicht einmal auf die Folgen des Wohlfahrtsstaats zu sprechen gekommen. Unsere heutigen Wohlfahrtsstaaten wären ohne immaterielles Zwangsgeld kaum finanzierbar. In der Tat blähen sie sich vor allem seit 1971 auf, dem Ende des Goldstandards.

Ohne Notenpresse und horrende Staatsverschuldung wäre der heutige Wohlfahrtsstaat wohl undenkbar. Und es ist gerade der Wohlfahrtsstaat, der dem Wertesystem der Gesellschaft extrem zusetzt. Vor allem zerstört er die Familie, also die Institution, in der Werte vermittelt und erlernt werden. Denn wer sich durch den Wohlfahrtsstaat abgesichert weiß, der braucht keine engen Freundschaften, der braucht auch keine Familie, die ihm in Notsituationen hilft. Der Staat ist ja da.

Folglich verfallen Familienbande, Freundschaften werden zunehmend oberflächlicher. Warum höflich und freundlich sein, warum sich um die Mitmenschen bemühen, sich für sie interessieren und um sie kümmern, wenn die wichtigste Verbindung die zum fürsorgenden Staat ist?

Die Risiken und Kosten asozialer Lebensstile werden der Allgemeinheit aufgebürdet. Das staatliche Bildungswesen sowie die Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungssysteme übernehmen nicht nur Aufgaben, die zuvor von der Zivilgesellschaft übernommen wurden und vor allem die Familie sozial zusammenschweißten, sondern sie verteilen auch systematisch um – von verantwortungsvollen, tugendhaften Menschen zu verantwortungslosen und amoralischen Zeitgenossen. Der Werteverfall wird subventioniert und zwar zu einem bedeutenden Teil mit aus dem Nichts geschaffenem Geld.

Für die Freunde der Zivilisation ist mithin das Geldsystem wohl die wichtigste Baustelle. In einem Goldstandard kann kein Geld aus dem Nichts geschaffen werden. Er diszipliniert nicht nur Regierungen in ihren Ausgabenorgien. Auch Überschuldung wie heute wäre undenkbar. Damit schafft der Goldstandard ein Ambiente, in dem Tugenden wie Fleiß, langfristiges Denken, Verantwortung und Nächstenliebe florieren. Wir brauchen eine Geldwende. Jetzt.

 

Prof. Dr. Philipp Bagus, Jahrgang 1980, lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid und forscht mit Schwerpunkt auf Geld- und Konjunkturtheorie. Er veröffentlicht Beiträge in renommierten internationalen Fachzeitschriften. Bagus ist Autor von „The Tragedy of the Euro“.

Andreas Marquart, Philipp Bagus: Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden . und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen. Finanz­buch- Verlag, München 2014, broschiert, 192 Seiten,16,99 Euro

Foto: Banknoten vom Band: Das lockere Geld aus Kreditschöpfung torpediert Tugenden wie langfristiges Denken, Fleiß, Verantwortung und Nächstenliebe

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