© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/14 / 30. Mai 2014

Es ist genug für alle da
Russisch-chinesisches Gasabkommen: Moskau und Peking feiern ihr epochales Werk, hinter den Kulissen herrschen Hauen und Stechen
Thomas Fasbender

Gas ist genug für alle da.“ Mit diesen Worten versuchte der russische Präsident Wladimir Putin vor dem Sankt Petersburger Wirtschaftsforum wohl jene Europäer zu beschwichtigen, die befürchten, daß Rußland sich nach der Ukraine-Krise komplett den Asiaten zuwendet. Unmittelbarer Hintergrund war der in derselben Woche in Putins Gegenwart unterzeichnete Gasvertrag mit den Chinesen.

Ein epochales Werk, das der Präsident ausdrücklich auf eine Ebene mit den Verträgen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren stellt. Einen wichtigen Unterschied ließ er nicht unbemerkt: Der Liefervertrag mit Westdeutschland habe auf der Formel „Gas gegen Röhren“ aufgebaut – heute produziere Rußland diese Röhren selbst.

Freundschaft aus Opportunität

Daß Rußland spätestens seit dem Ende der Jelzin-Ära versucht, mit den Chinesen strategische Gemeinsamkeiten zu entwickeln, ist im Westen kein Geheimnis. Übersehen wird jedoch oft, wie schwierig das Verhältnis der beiden eurasischen Giganten in den zurückliegenden Jahrzehnten war.

Obwohl China und die Sowjetunion seit der frühen Nachkriegszeit dem „sozialistischen Lager“ angehörten, waren sie spätestens um das Jahr 1960 ideologisch tief verfeindet. 1969, als militärisch ausgetragene Grenzkonflikte Dutzende von Todesopfern forderten, war der Tiefpunkt erreicht.

Zum Ende der Sowjetunion im Jahr 1991 lag das gemeinsame Handelsvolumen bei gerade einmal vier Milliarden US-Dollar. Seitdem hat das Verhältnis sich auf allen Gebieten sprunghaft entwickelt. Das Handelsvolumen betrug 2013 schon 89 Milliarden Dollar, und seit 2012 ist China – statt wie zuvor Deutschland – Rußlands größter Handelspartner. Auch die Grenzstreitigkeiten legten beide Parteien in drei Verträgen zwischen 1991 und 2004 bei.

Der Hemmschuh für einer rasche Steigerung des Exports von Öl und Gas nach China war und ist die mangelnde Infrastruktur. Das Pipeline-Netzwerk der UdSSR war für Lieferungen nach Westeuropa ausgelegt. Mit den Chinesen wird zwar schon seit den neunziger Jahren verhandelt, doch erst die Konsolidierung des russischen Energiesektors nach 2000 schuf die Voraussetzungen für eine fast 5.000 Kilometer lange Öl-Pipeline quer durch Sibirien zum Pazifik mit Abzweigungen zu den wichtigsten asiatischen Märkten.

Seit 2010 ist China an ein Teilstück angebunden. Gemäß der jüngst unterzeichneten Vereinbarung kommen bis 2018 zwei Gas-Pipelines mit einer Kapazität von 40 Milliarden Kubikmeter jährlich hinzu. China investiert in diesem Kontext 22 Milliarden und Rußland 55 Milliarden US-Dollar.

Der in Schanghai vereinbarte Gaspreis ist offiziell zwar ein Geheimnis, doch Insider sprechen von 350 US- Dollar je Kubikmeter. Das ist weniger als der europäische Preis von 400 Dollar, liegt aber deutlich über den 200 Dollar, die China angeblich zu zahlen bereit war. Andererseits ist bekannt, daß Peking den Turkmenen 360 US-Dollar je Kubikmeter überweist, von daher kann die kolportierte Zahl durchaus richtig sein.

Doch nicht nur Öl und Gas interessiert die westlichen Beobachter, wenn Russen und Chinesen aufeinander zugehen. Rußland ist Chinas Waffenlieferant Nummer eins, wobei dies für beide Seiten kein Feld ohne Fußangeln ist. Regelmäßig kommen aus Moskau Vorwürfe wegen angeblicher Produktpiraterie, und die Chinesen sind unglücklich über wachsende russische Waffenlieferungen an Indien und Vietnam.

Wo sich China und Rußland am ehesten zusammenfinden, ist in der Ablehnung einer unipolaren Weltordnung auf der Basis der vom Westen formulierten Werte und Strukturen. Vehement verfechten sowohl Moskau als auch Peking das Konzept einer multipolaren Welt und den Grundsatz der Nichteinmischung in fremde Angelegenheiten.

Dennoch ist das Verhältnis der beiden Länder bei aller guten Nachbarschaft nur eine Freundschaft aus Opportunität. Beide Partner wissen, daß die Demographie im Fernen Osten gegen Rußland spielt, und auch, daß China die sogenannten „ungleichen Verträge“ aus dem „Jahrhundert der Erniedrigung“, durch die Rußland 1858/60 in den Besitz der östlichen Mandschurei gelangt ist, alles andere als vergessen hat.

Foto: Chinas und Rußlands Präsidenten XI Jinping (l.) und Putin: Das Lächeln überdeckt manche Probleme

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