© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Knapp daneben
Realitätsnähe ist nur hinderlich
Karl Heinzen

Die Finanzkrise hat die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft wie ein Naturereignis überrascht. Vorwürfe müssen sie sich deshalb nicht machen. Ihre Aufgabe ist es, das Tagesgeschäft pragmatisch zu bewältigen. Für Theorien über langfristige Entwicklungen sind andere zuständig. Kritik muß sich allein die Wissenschaft gefallen lassen. Keine Koryphäe der Volkswirtschaftslehre hat die Krise vorhergesehen. Es entstand sogar der Eindruck, daß sich die in mathematischen Modellen schwelgenden Professoren durch die schnöde Realität belästigt fühlten.

Der Reputationsverlust ihres Faches hat VWL-Studenten aus 19 Nationen nun dazu getrieben, Alarm zu schlagen. Ganz furchtbar einseitig sei die ökonomische Wissenschaft geworden, beklagen sie weinerlich. Überall hätten sich die Vertreter der neoklassischen Theorie mit ihrem Geplapper über rational kalkulierende Individuen und effiziente Märkte breitgemacht. Wer ihren Mythen Glauben schenke, werde jedoch blind für die Wirklichkeit. Es drohe der Weltuntergang, wenn nicht bald ein frischer Wind durch die Fakultäten blase.

Wie alle, die entscheidungsschwach sind, begnügen sie sich mit der Forderung nach mehr Pluralismus.

Aus welcher Richtung er kommen soll, wissen die lamentierenden Studenten allerdings nicht zu sagen. Wie alle, die entscheidungsschwach sind, begnügen sie sich mit der Forderung nach mehr Pluralismus. In der Konkurrenz der Ansichten werde dann am Ende schon die Wahrheit herauskommen. Ausgerechnet im Ideenwettbewerb soll sich somit die naive Markttheorie bewähren.

Dabei ist Volkswirtschaftslehre doch so einfach. Im Kern geht es ihr darum, die bestehenden Verhältnisse als richtig und alternativlos zu legitimieren. Natürlich könnte man den Studenten auch sagen: Bitte glaubt das bloß und stellt keine blöden Fragen, dann habt ihr im Berufsleben kein schlechtes Gewissen und verdient vielleicht auch ein bißchen mehr. Das klänge aber wenig wissenschaftlich, und daher müssen simple Botschaften eben in komplizierte mathematische Modelle verpackt werden. Realitätsnähe wäre hier nur hinderlich. Wer sie als VWL-Student vermißt, sollte sich nach einem anderen Fach umschauen.

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