© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Ich liebe Friedhöfe. Seltsam? Für mich nicht. Die Toten und ich, wir haben ein Abkommen getroffen. Ich lasse sie ruhen, und sie stören mich nicht. Das nenne ich einen fairen Handel.

Es ist ein überschaubarer Friedhof, sehr idyllisch, trotz einer nahe gelegenen Autobahn. Der Lärm von dort ist hier nur gedämpft zu hören und wird zudem überlagert vom Zwitschern der Vögel und dem Rauschen des Windes, der durch das Blätterwerk der Bäume weht. Auf einer kleinen Wiese streift ein junger abgemagerter Fuchs umher.

Ein Anschlag am Eingang des Friedhofs weist nur eine Handvoll Ehrengrabstellen aus, darunter eine für den Berliner SPD-Vorsitzenden Franz Neumann, der sich 1946 der von Otto Grotewohl und Walter Ulbricht betriebenen Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED widersetzt hatte.

Einer der ersten Grabsteine nahe dem Eingang steht für ein Ehepaar, erkennbar an zwei ineinander verschlungenen Ringen. Der Mann ist im Alter von vierundachtzig an einem 14. Juli verstorben, seine Frau im gleichen Jahr mit achtundsiebzig nur drei Wochen später am 4. August. Sympathisch die Vorstellung, daß sie mit ihrem Liebsten so schnell wie möglich wieder vereint sein wollte.

Tragisch ist die Geschichte des jungen Polizeihauptwachtmeisters Herbert Bauer, der in der Nacht zum 25. Dezember 1952 von Sowjetsoldaten an der Sektorengrenze erschossen und auf diesem Friedhof beigesetzt wurde. In einer Agenturmeldung von damals heißt es: „Bei einem Feuergefecht zwischen sowjetischen Soldaten und Westberliner Polizisten wurde in den frühen Morgenstunden des ersten Weihnachtsfeiertages im französischen Sektor Berlins der 28jährige Westberliner Schutzpolizei-Oberwachtmeister Herbert Bauer tödlich verletzt. Eine Gruppe bewaffneter sowjetischer Soldaten war gegen 4.30 Uhr etwa 150 Meter weit nach Berlin-Frohnau in den französischen Sektor eingedrungen. Nach Mitteilung der Westberliner Polizei hatten die Sowjets versucht, drei Menschen zu entführen. Ein Polizeikommando schritt gegen die Sowjetsoldaten ein und konnte ihr Vorhaben verhindern. Dabei kam es zu einem Feuergefecht, in dessen Verlauf der Polizist durch eine Schußgarbe aus einer Maschinenpistole so schwer verletzt wurde, daß er kurze Zeit darauf starb. Die Sowjetsoldaten konnten unerkannt entkommen.“

Unter einem Namen stehen weder Geburts- noch Sterbedatum. Stattdessen: Malermeister. Berufsstolz in Marmor gemeißelt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen