© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Berliner entscheiden über Tempelhofer Feld
Volksabstimmung: Der Senat will den stillgelegten Flughafen bebauen lassen, Widerstand kommt aus verschiedenen Lagern
Ronald Gläser

Eine vier Millionen Quadratmeter große Freifläche, mitten in einer Millionenmetropole – wo hat es so etwas je gegeben? Seit 1990 befassen sich ganze Kohorten von Stadtplanern mit der Nachnutzung und Bebauung des Flughafens Tempelhof in Berlin. Die Fläche des 2008 stillgelegten Flughafens ist so groß wie die der Altstädte von Stralsund, Frankfurt am Main und Lübeck zusammen.

Bebauungsgegner machen mobil

Vom künstlichen Berg bis zu einem neuen Busbahnhof wurde schon alles mögliche debattiert. Der Berliner Senat plant derzeit, drei Viertel der Fläche unangetastet zu lassen und das Flughafengelände nur am Rand zu bebauen. Demnach sollen neben einer 350 Millionen Euro teuren Bibliothek Gewerbegebiete und Wohnraum geschaffen werden. Ein Teil davon sollen Sozialwohnungen werden – ein klarer Schritt hin in Richtung der Fraktion der Gentrifizierungsgegner.

Doch das reicht der politischen Linken nicht. Ein linkssozialistisches Bündnis hat die Parole „100 Prozent Tempelhofer Feld ausgegeben“ und will die Bebauung ganz verhindern. Die Initiatoren werfen dem Senat vor, er bevorzuge Privatinvestoren und fördere „ein neues Luxusviertel, das den Mietspiegel hochtreibt und alteingessene Berliner aus ihrem Lebensumfeld verdrängt“. Ihre Argumentation: Das Feld müßte zunächst erschlossen werden, was neue Wohnungen dort verteuert. Die Bebauungsgegner rechnen mit 400 Millionen Euro für Straßen und Kanalisation.

Am 25. Mai haben die Berliner die Wahl. In einem Referendum stimmen sie über das Feld ab. Es ist bereits die dritte Volksabstimmung wegen des Flughafens: 2008 hatten 60 Prozent, vor allem in den Westbezirken, für den Weiterbetrieb votiert. Der Senat ignorierte das Ergebnis mit der Begründung, das willkürlich gesetzte Beteiligungsquorum – 25 Prozent aller Wahlberechtigten müssen zustimmen – sei nicht erreicht worden. 2009 hingegen wurde das 15-Prozent-Quorum auf kommunaler Ebene in dem Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg erreicht: Demnach ist das Gebäude als Kulturerbe zu erhalten.

Ein Erfolg des Referendums ist möglich. Zuletzt lag die Zahl der Befürworter des Volksbegehrens bei 43 Prozent – bei steigender Tendenz. Hinzu kommt, daß sich diesmal zwei Gruppen zueinandergesellen, die so noch nie zusammen für etwas gestimmt haben: linke Gentrifizierungsgegner und konservative West-Berliner, die auf eine Wiederaufnahme des Flugbetriebs zu einem späteren Zeitpunkt hoffen.

Der Senat fürchtet eine Niederlage und hat daher, als das Vorum unausweichlich wurde, eine große Koalition aus staatsnahen Organisationen wie DRK, Awo, Caritas, DGB und Handwerkskammern geschmiedet, das für den Senatsplan wirbt. Die SPD plakatiert stadtweit den Spruch „Berlin statt Stillstand“. Ein Motto, das angesichts des BER-Desasters in den Augen vieler Bürger wie Hohn klingt.

So stimmen Berliner richtig ab:

Wer für den Erhalt des Flughafengeländes ist, muß für das Tempelhofgesetz und gegen den Senatsplan stimmen, also Ja und Nein. Bebauungsbefürworter genau umgekehrt.

www.thf100.de  (Gentrifizierungsgegner)

www.tempelhofer-feld-für-alle.de  (Senat)

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