© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Wenn Conchita Wurst in der Burka auftritt
Liberalismus: Berliner Freiheitskongreß lotet die Grenzen der Toleranz aus
Lion Edler

Ein von Liberalen betriebenes Magazin versucht, Widerstand zu leisten gegen den Trend zum allgegenwärtigen Staat: Novo Argumente heißt die Nischenpublikation, die mit ihrer Agenda sowohl Linke als auch Konservative zu Widerspruch reizen dürfte. Ein im vergangenen Jahr von Novo-Autoren verfaßtes „Freiheitsmanifest“ fordert etwa eine „Debatte über die Grenzen des interventionistischen Sozialstaates“, eine Verringerung des staatlichen Einflusses auf Kindererziehung, aber auch eine stärkere Öffnung der Grenzen. Daneben finden sich im Heft skeptische Bemerkungen zur Theorie des menschengemachten Klimawandels sowie tendenziell Zustimmendes zu Kernenergie und Gentechnik.

Am vergangenen Wochenende trafen sich die Erzliberalen zu einem „Freiheitskongreß“, der sich mit der Entwicklung der EU und dem Zustand der Toleranz beschäftigte. Doch die erste Podiumsdiskussion mit dem Titel „Club oder Bundesstaat: Welches Europa wollen wir?“ kam nicht richtig in Fahrt, denn die Podiumsteilnehmer schienen weitgehend einig in ihrer Kritik am Zentralismus und Größenwahn der EU. Der Direktor der liberalen Denkfabrik Open Europe Berlin, Michael Wohlgemuth, ging denn auch gleich rhetorisch in die vollen: Die Frage „Mehr Europa – weniger Europa“, sei „völlig inhaltsleer“, und im übrigen hätten Cäsar, Napoleon und Hitler „auch schon mehr Europa“ angestrebt.

„Man landet nicht mehr im Gefängnis, aber am Rand“

Zwar sei die EU für ihre Verdienste bei der Sicherung von Frieden, Freiheit und Wohlstand zu loben, doch dürfe die EU „nicht sakralisiert werden.“ Wohlgemuth wandte sich gegen die Ansicht, daß die EU ihr Gewicht durch eine möglichst hohe Mitgliederzahl stärken müsse, um nicht im Konzert der Großen zu verlieren. Liechtenstein habe schließlich auch einen geringen Anteil an der Weltbevölkerung, ohne daß es dem Staat schlecht ginge. Als Zukunftsvision empfahl Wohlgemuth das Konzept des „Europa à la carte“. Danach wird es den Mitgliedsstaaten überlassen, nur in den von ihnen gewünschten Politikbereichen eine europäische Gemeinschaft zu bilden.

Der Vorstandssprecher von Mehr Demokratie e.V., Michael Efler, wandte sich gegen die Entwicklung der EU zu einem Bundesstaat. Denn die meisten Europäer hätten immer noch eher eine nationale Identität als eine europäische. Ein Bundesstaat würde dazu führen, daß die nationalen Verfassungen sich noch mehr unter die EU unterordnen müßten, so daß das Grundgesetz als identifikationsstiftende Verfassung geschwächt würde. Gerne hätte man gesehen, wie ein pathetischer EU-Anhänger innerhalb des liberalen Spektrums auf die Argumente des Podiums reagiert hätte – zum Beispiel ein FDP-Politiker.

Mehr Kontroverse brachte die anschließende Diskussion zum Thema „Spaltpilz Toleranz: Wie liberal dürfen wir sein?“ Die Publizistin und frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld zog eine bittere Bilanz der Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der Bundesrepublik: „Wir wollten Pressefreiheit. Was haben wir gekriegt? Einen Presse-Einheitsbrei.“ Auch die Streitkultur befinde sich in einem katastrophalen Zustand, so Lengsfeld: „Für eine abweichende Meinung landet man nicht mehr im Gefängnis, aber am Rand.“ Zur Toleranz gehöre jedoch, daß man sich mit kontroversen und auch ekelhaften Meinungen auseinandersetze. „Wir wollten die Einheitspartei abschaffen, und wir haben ein Einheitsparteiensystem gekriegt“, klagte die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete.Dem widersprach der stellvertretende Berliner Landesvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten, Alexander Steinfeldt. Es gebe nach wie vor starke „unterschiedliche Facetten der Medienlandschaft“. Auch wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Bild-Zeitung sich angleichen würden, so wirke das Internet als Korrektiv dagegen. Lengsfeld schien davon nicht wirklich überzeugt.

Murmeln im Saal

Der Novo-Redakteur Thilo Spahl konstatierte in Deutschland eine „Verwechslung von Toleranz mit der Bekämpfung von Intoleranz“. „In den allermeisten Fällen geht es um Rechte, Nazis, Homophobe“, stellte Spahl fest. Es herrsche die Bestrebung vor, Meinungen „nicht zu kritisieren, sondern zu eliminieren.“ Schon allein der Begriff „Homophobie“ bedeute eine „Pathologisierung von Leuten“.

Der Vorsitzende des Forums Offene Religionspolitik, Sven Speer, näherte sich der Thematik am Beispiel des „Eurovision Song Contest“ (ESC). Der Sieg von Conchita Wurst sei ein „Sieg der Toleranz“, doch dies würde auch gelten, wenn eine Künstlerin mit Burka den Wettbewerb gewonnen hätte. Ein Murmeln im Saal gibt zu erkennen, daß ein Teil des Publikums das anders sieht. Kritisch beschäftigte sich Speer mit dem isländischen Musikbeitrag „No Prejudice“ (keine Vorurteile). Die dort enthalte Aussage „Inside, we we are the same“ (Im Innern sind wir gleich) sei ein „sehr gefährlicher Ansatz von Toleranz“. Denn wenn diese nur möglich sei, wenn man sich im Anderen wiedererkenne, dann werde Toleranz „sehr voraussetzungsvoll“.

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