© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/14 / 23. Mai 2014

Auftakt zur JF-Serie
Der häßliche Deutsche
Thorsten Hinz

Dem häßlichen Deutschen wird keine Ruhe gegönnt. Sobald eine internationale Krise heraufzieht, wird er aus den Tiefen des kollektiven Unbewußten gezerrt. Natürlich glauben die Demonstranten, die in Athen, Madrid und anderswo Merkel-Bilder mit Hitlerbärtchen verzieren, nicht wirklich, daß die Kanzlerin das Testament des gleichfalls Ewigen Führers vollstreckt. Doch sie versprechen sich von ihrer Behauptung einen Vorteil. Die Deutschen verlieren dann umgehend den Kopf und fragen sich panisch, was sie falsch gemacht haben, daß die anderen so über sie denken. Ihr irrationales Verhalten leiten sie aus einem vermeintlichen Naturgesetz her, das Hitlers Namen trägt.

Der häßliche Deutsche aber ist viel älteren Datums. Bereits im Ersten Weltkrieg sah Max Scheler sich veranlaßt, ein Buch über „Die Ursachen des Deutschenhasses“ zu schreiben, und der jüdische Sozialpsychologe Kurt Baschwitz sprach 1932 von einem international grassierenden „Massenwahn“.

Der Historiker Karlheinz Weißmann untersucht in seinem neuen Buch „1914 – Die Erfindung des häßlichen Deutschen“ Herkunft, Geschichte und Wirkung dieses Popanzes. Als besonders skurriles Beispiel zitiert er einen französischen Mediziner, der im Ersten Weltkrieg den Deutschen einen speziellen, durch fehlgeleitete Darm- und Nierenfunktionen ausgelösten Körpergeruch zuschrieb. Zu Ehren des französischen Geistes sei gesagt, daß Marcel Proust in der „Suche nach der verlorenen Zeit“ diesen und andere Geistesverräter an den literarischen Schandpfahl geheftet hat.

Mit dieser Ausgabe beginnt in der JUNGEN FREIHEIT ein vierteiliger Vorabdruck aus Weißmanns Buch (siehe Seite 19). Wie sollen die Deutschen auf die Haßprojektion reagieren? Hitler antwortete mit der Politik des Alles oder Nichts. Am Ende hatte er das Nichts vor Augen und tat alles, um das Haßgebilde zu bestätigen und die Gegner scheinbar ins totale Recht zu setzen. Heute suchen hitlerbeschränkte Politiker ihr Heil darin, dem Ausland stets recht zu geben in der Hoffnung, künftig von ihm milder beurteilt zu werden. Damit aber bestätigen sie das Kalkül der anderen und veranlassen sie, das Vehikel des häßlichen Deutschen in Gang zu halten.

Das Ergebnis ist eine Spirale grenzüberschreitender Irrationalität. Eine deutsche Staatskunst, die ihren Namen verdient, würde höflich, aber bestimmt darauf hinweisen, daß sich mit dem häßlichen Deutschen in Deutschland kein Eindruck mehr schinden läßt, und zwar zum Nutzen aller.

Denn der Deutschenhaß, schrieb Kurt Baschwitz in der Sprache seiner Zeit, „ist nicht nur eine Heimsuchung für Deutschland, sondern eine Menschheitsplage“. An ihm drohe „die Welt – die Bildungswelt der weißen Rasse – zugrunde zu gehen“. Ersetzen wir „Rasse“ durch „Europa“, so erkennen wir in den Sätzen die Gegenwart.

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