© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Der Flaneur
Ein glücklicher Mann grillt an
Josef Gottfried

Ich bin mir nicht sicher, ob es Fett oder Marinade war, was durch den Rost auf die Kohlen tropfte und Feuer fing. Ich lösche die Flamme mit Bier und nehme dann drei, vier, fünf große Schlucke aus der Flasche, so daß ein Spuckschluck übrigbleibt, der nun schal zu werden beginnt. Dann drehe ich das Fleisch.

Ich kann in vier oder fünf andere Gemeinschaftsgärten hinter Mehrfamilienhäusern schauen und meine, mich dort im Spiegel zu sehen. Die Fünfzehnjährige, die sich halbnackt sonnt; das alte polnische Ehepaar, das Wäsche aufhängt; der kurzhaarige Nachbar, der seine Zeit mit Gartenfeiern und einem sehr gepflegten Pkw rumkriegt. Man spricht ihnen nicht die Würde ab, wenn man feststellt, daß ihr Leben unbedeutend ist.

Während mir das Wasser im Munde zusammenläuft, tun mir die Viecher leid.

Ich schneide eines der Koteletts an, um zu prüfen, ob es durch ist, dann wende ich es abermals, trinke den schalen Rest meiner Flasche. Ich lasse den Bügelverschluß der zweiten Flasche aufploppen. Wir plaudern über aktuelle Politik und Sport. Das fertige Fleisch kommt auf den großen Teller, auf dem Rost liegt jetzt Putenbrust. Ich erinnere mich gut an die gräßlichen Internet-Videos von Hühnerfarmen, und während mir das Wasser im Munde zusammenläuft, tun mir die Viecher leid.

Angrillen, ich stoße auf und rieche meinen eigenen Atem, noch einen Schluck, was für eine seltsame Tradition. Ich werde mehr Fleisch essen, als gut für mich ist. „Schade nur, daß die Meisterschaft schon entschieden ist, die Bundesliga ist nur noch auf den Plätzen 17, 18 und 19 spannend, das war in den Neunzigern besser.“

Dann plötzlich meine zweijährige Tochter: quietschvergnügt, laut lachend, weil meine Frau mit ihr Fangen spielt. Ich muß ein glücklicher Mann sein.

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