© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Eliten vom Schlachtfeld
Clemens Range gibt einen Überblick über die kriegsgedienten Generale und Admirale der Bundeswehr
Georg Meyer

Der voluminöse und gewichtige Band von Clemens Range, über fünf Pfund schwer, ist eigentlich nur unter Zuhilfenahme eines stabilen Levitenpultes zu nutzen, eher geeignet zum Nachschlagen als zu kontinuierlicher Lektüre.

In der gegenwärtig wieder Fahrt aufnehmenden Traditionsdiskussion der Bundeswehr ist diese Veröffentlichung auf den ersten Blick hilfreich, denn sie dokumentiert überzeugend die personelle Herkunft der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland aus Reichsheer, Reichsmarine, Luftwaffe, „Wehrmacht“ als Sammelbegriff, ja sogar Waffen-SS, Stichwort Elitenkontinuität. Sie steht damit sperrig einer sich verbreiternden Tendenz im Wege, diese personelle Kontinuität aus dem Blick zu verlieren und damit die erstaunliche Leistung dieser Jahrgänge geringzuachten, nach einer nicht allein militärischen Niederlage, sozialen Demütigungen und öffentlich kaum zur Kenntnis genommenen selbst-kritischen Bestandsaufnahmen und Gewissenserforschungen im Rahmen des atlantischen Verteidigungsbündnisses eine Armee neuen Typus aufzubauen.

Dieses Experiment ohne Alternative, unterstützt ab Ende 1955/56 durch Freiwillige aus den „weißen Jahrgängen“ (nicht kriegsgediente Männer der Geburtsjahre 1929 bis 1937), seit Frühjahr 1957 von Wehrpflichtigen, gelang im Laufe der vom Kalten Krieg geprägten Jahre, in denen unter mancherlei Schwierigkeiten ein überzeugendes und vor allem im Bündnis respektiertes Element der Abschreckung des potentiellen Gegners entstand. Als Ergebnis wohl jahrelangen unermüdlichen Fleißes liegt eine in dieser Form einmalige nützliche Datensammlung vor, die Brüche und Kontinuitäten der jüngsten deutschen Militärgeschichte ebenso verdeutlicht wie den sozialen Wandel im vielgestaltigen deutschen Militär seit Beginn des 20. Jahrhunderts, hin zu einer leistungsfähigen Funktionselite von lange hohem Ansehen.

Mit Hinweisen zur sozialen Herkunft des von ihm eingegrenzten Personenkreises hat er zusammenhängend alle ihm erreichbaren Daten gesammelt, wie – eingeschlossen längere oder kürzere Zeiten der Kriegsgefangenschaft bei den verschiedenen Gewahrsamsmächten – die nicht selten entbehrungsreiche Dekade vom Kriegsende bis zur „Reaktivierung“ im Einzelfall verlaufen ist und gemeistert wurde. Hiermit erläutert er den für die Wiederverwendung maßgeblichen Aspekt „Bewährung im Leben nach dem Kriege“ (hierbei galt nach Richtlinien des Personalgutachterausschusses ausdrücklich die erreichte Stellung und die Höhe des Einkommens nicht als entscheidend).

Allzu idealisiertes Bild vom Gefüge der Wehrmacht

Eine Fülle ergänzender statistischer Angaben und deren Aufschlüsselung bereichert den lexikalisch aufgebauten Textteil. Auch über genealogische und familiäre Verflechtungen und die Jahrgangsschichtung erhält der Benutzer detaillierte Auskünfte, ebenso über deren Ausbildung als General- und Admiralstabsoffiziere des von Range erfaßten heterogenen Personenkreises. Dankenswert ist auch die Zusammenstellung der einstigen Angehörigen der Dienststelle Blank und der Organisation Gehlen/BND, die in der Bundeswehr General- und Admiraldienstgrade erreichten, desgleichen eine Tabelle derjenigen, die als Spät- und Spätestheimkehrer aus sowjetischer und jugoslawischer Kriegsgefangenschaft zwangsweise besondere Lebenserfahrungen sammeln mußten.

Die wertvollen Angaben im Kleingedruckten des Textteils und im Anhang, die sich freilich vorrangig dem Fachmann erschließen, machen den eigentlichen Wert dieses Nachschlagewerkes aus, der jedoch durch einige wesentliche Defizite sehr geschmälert wird.

Schon der Rahmen enttäuscht, den Range in einem einleitenden militärgeschichtlichen Überblick für das folgende Lexikon zimmert. So fällt das Bild, das er insgesamt vom inneren Gefüge der Wehrmacht auch in der Phase des unausweichlichen Zusammenbruchs entwirft, allzu idealisiert aus. Da duldet er kein Stäubchen auf dem Paraderock. Wohlmeinende Kritik zu seinem 2005 erschienenen Werk „Die geduldete Armee. 50 Jahre Bundeswehr“, (JF 46/05) ignoriert er. Unbeirrt hält er an seinen Urteilen fest, möglicherweise nach der Maxime eines allerdings renommierten britischen Historikers: „ I never read any“, als dieser gefragt wurde, ob er Rezensionen seiner Bücher lese.

Auch nimmt er fortschreitende Forschungsergebnisse, seinem Thema sehr nahe, nicht zur Kenntnis; wie etwa Klaus Naumanns „Generale in der Demokratie“ (2007), Joachim Käppners Lebensbeschreibung der drei Generale Peter, Ruprecht und von Butler („Die Familie der Generäle“, 2007), Frank Paulis „Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr. Das kriegsgediente Offizierkorps der Bundeswehr und die Innere Führung“ (2010), oder: „Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970“ (2011 im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes von Helmut Hammerich und Rudolf Schlaffer herausgegeben).

Überhaupt sind ihm offenbar Veröffentlichungen letzterer Institution suspekt, denn auch jetzt übersieht er die Reihe „Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik“, und die Edition der Himmeroder Denkschrift sucht man in der willkürlichen und daher wertlosen Literatur- und Quellenzusammenstellung vergebens. Diese ähnelt eher einem umgestürzten Zettelkasten als einer in einem anspruchsvollen Lexikon zu erwartenden Hilfe für interessierte Benutzer. Wer heutzutage noch das Buch des ehemaligen Sanitätsgefreiten Walter Görlitz „Der deutsche Generalstab“ (1953) als informativ ansieht und die Publikationen von Christian Millotat „Das preußisch-deutsche Generalstabssystem“ (2000) und „Eliten der Bundeswehr im Einsatz“ (2009) nicht erwähnt, disqualifiziert sich selbst.

Nicht nur im Literaturverzeichnis ist die Anzahl der Druckfehler ermüdend, sondern auch im Textteil ist der Übergang von Flüchtigkeits- zu Sachfehlern fließend. Die biographischen Skizzen, die Range vielen Persönlichkeiten widmet, ohne daß dabei eine Systematik oder in einigen, allerdings wenigen Fällen eine Notwendigkeit zu erkennen wäre, sind unausgewogen und wegen der häufigen Tendenz vorsätzlicher Dekonstruktion meist ein Ärgernis. Auch formal sind diese Skizzen von unterschiedlichem Wert. Beim schriftstellerisch sehr angesehenen und wissenschaftlich ausgewiesenen General Uhle-Wettler werden zahlreiche seiner Veröffentlichungen genannt, während ihm General Heusingers seinerzeit vielbeachtetes Buch „Befehl im Widerstreit“ (1950) keine Zeile wert ist. Auch das Buch des Generals Kobe „Der Wind kam vom Westen“ (1974), ein einfühlsamer Bericht über die Arbeiten in der Dienststelle Blank, übersieht er geflissentlich, wie auch die spätere Bearbeitung (1985) unter dem Titel „Wie die Bundeswehr entstand“.

Viele seiner abschätzigen und vor allem nicht belegten Urteile basieren auf Hörensagen, wenn nicht auf Kasinogeschwätz zu vorgerückter Stunde. Sie täuschen, leichtfertig mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu Papier gebracht, Insiderwissen lediglich vor. Fazit: Range ist es überzeugend gelungen, seine an sich beachtliche Leistung durch qualitativ unzulängliche Zutaten selbst zu entwerten.

 

Dr. Georg Meyer ist Historiker und ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)

Clemens Range: Kriegsgedient. Die Generale und Admirale der Bundeswehr. Verlag Translimes Media, Müllheim 2013, gebunden, 648 Seiten, Abbildungen, 44,90 Euro

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