© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Ihr Engagement endete oft mit Kopfschuß
Der sowjetische Geheimdienst NKWD versuchte bereits 1931, Agenten innerhalb der NSDAP-Führung zu postieren
Jürgen W. Schmidt

Am 8. Mai 2014 fand im Deutschen Bundestag aus aktuellem Grund eine geheime Sondersitzung der „Parlamentarischen Kontrollgruppe“ für die Nachrichtendienste statt, die sich mit dem immer aktiveren Vorgehen russischer Geheimdienste in Berlin befaßte.

Stand in den letzten Jahren „nur“ Wirtschaftsspionage zu befürchten, so befassen sich Agenten aus Moskau neuerdings wieder stark mit der Militärspionage und Ausspähung deutscher Regierungsstellen und politischer Parteien. Mittlerweile soll es über 100 Anbahnungsversuche zu potentiellen Quellen gegeben haben. Gerade die Ausspähung politischer Parteien durch die Russen hat eine lange Tradition, und die NSDAP Adolf Hitlers war bereits in ihrer „Kampfzeit“ vor der Machtergreifung 1933 nicht dagegen gefeit.

Im Jahr 1931 erhielt der 52jährige NKWD-Spitzel Drosdow einen Auftrag, für den er wie kein anderer geeignet war. Er sprach nämlich hervorragend Deutsch, weil er vor dem Ersten Weltkrieg in der Schweiz ein Diplom als Ingenieur erwarb und einige Jahre als Textilchemiker arbeitete. Bislang hatte man ihn in Moskau zum Aushorchen der sich dort zeitweilig aufhaltenden deutschen Wirtschaftsexperten eingesetzt, doch nun sollte Drosdow im Ausland eine Spezialaufgabe zur Unterwanderung der NSDAP erfüllen. Im Mai 1931 suchte Drosdow einen alten Bekannten von der IG Farben in Berlin auf, den er bat, ihm dringend einen persönlichen Kontakt zu Adolf Hitler zu vermitteln.

Mission als vermeintlicher Konterrevolutionär

Dabei ließ Drosdow auftragsgemäß durchblicken, daß er keineswegs nur ein mittelhoher sowjetischer Wirtschaftsfunktionär sei, sondern ein führender Konterrevolutionär, der in Moskau eine faschistische Partei aufbauen wolle. Auf der Rückfahrt von seinem vorgeblichen Kuraufenthalt in Karlsbad suchte Drosdow im Juni wieder seinen Berliner Bekannten auf. Dieser brachte ihn mit einem Deutschbalten namens Harald Siewert zusammen, der über Kontakte zu den verschiedensten deutschen Nachrichtendiensten verfügte und ein enger Freund des ebenfalls aus dem Baltikum stammenden NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg war.

Siewert befragte Drosdow ausgiebig, befand ihn als echten Sowjetfeind und wollte nunmehr den von Drosdow gewünschten Kontakt zu Hitler vermitteln. Doch Hitler, anfangs sogar bereit den geheimnisvollen Russen in München persönlich zu treffen, schreckte im letzten Moment davor zurück. Er beauftragte Alfred Rosenberg, der sich daraufhin in Berlin in einem Café am Anhalter Bahnhof mit Drosdow traf. Von dem zweistündigen Treffen war Rosenberg sehr angetan, obwohl der Russe dabei kaum zu Wort kam. Rosenberg gab ihm nämlich viele gute Tips, wie er die geplante faschistische Partei am besten organisieren solle.

Er händigte Drosdow zum Schluß noch ein Programm der NSDAP aus, welches dieser umgehend seinen Auftraggebern in Moskau vorlegte. Obwohl Rosenberg Drosdow bat, den persönlichen Kontakt aufrechtzuerhalten und zu diesem Zwecke zukünftige Treffen in Rom vorschlug, ließ das NKWD diesen direkten Zugang zur NSDAP-Führung ungenutzt. Einerseits hatte der umtriebige Drosdow auf der Durchreise im lettischen Riga einen vielversprechenden Kontakt zum britischen Geheimdienst geknüpft.

1940 wurde Drosdow in der Sowjetunion ermordet

Andererseits gewann die Berliner NKWD-Residentur in der sowjetischen Botschaft unter dem bienenfleißigen Residenten Boris Berman annähernd gleichzeitig mit Drosdows Reise zwei wohlinformierte Quellen in der NSDAP. Diese wurden als Agenten A/270 und A/331 bezeichnet. Bei ersterem handelte es sich um Kurt Freiherr von Possanner, einen 33jährigen Österreicher, der als NSDAP-Funktionär im „Braunen Haus“ in München beschäftigt war und daher viele Interna über Führungspersonal und Organisation der NSDAP kannte.

Possanner hatte sich wegen finanzieller Probleme als Selbstanbieter in der sowjetischen diplomatischen Vertretung in Berlin gemeldet. Der andere Agent wurde vom Parteinachrichtendienst der KPD an die sowjetischen Freunde weitervermittelt. Bei ihm handelte es sich um einen ehemaligen Offizier und Freikorpskämpfer, den 32jährigen Mediziner Karl Heimsoth. Heimsoth war ein früher Aktivist der Homosexuellenbewegung, besaß daher immer noch beste Beziehungen zum SA-Führer Ernst Röhm, obwohl er innerlich längst mit der NSDAP gebrochen hatte. Beide Quellen erhöhten den Informationsstand des NKWD über die NSDAP beträchtlich, welche wegen ihrer rasant wachsenden politischen Erfolge ab 1931 unter aufmerksamer sowjetischer Beobachtung stand.

Allerdings bekam sowohl Kurt von Possanner wie auch Karl Heimsoth die Arbeit für den sowjetischen Geheimdienst schlecht. Possanner wurde von innerparteilichen Konkurrenten als „englischer Spion“ verdächtigt und schließlich mit Spionagematerial im Koffer ertappt. Man verhaftete ihn nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und erschoß ihn am 16. März 1933 in der Nähe von Potsdam. Heimsoth wiederum geriet wegen seiner allseits bekannten Nähe zu Ernst Röhm und zu oppositionellen NSDAP-Funktionären unter den Verdacht von „Schädlingstätigkeit“. Im Frühjahr 1934 verhaftet, ist er seit der nationalsozialistischen „Nacht der langen Messer“ gegen wichtige Führer der SA im Juli 1934 verschollen. Er wurde wahrscheinlich ebenso von seinen früheren Gesinnungsgenossen liquidiert wie der NKWD-Spitzel Drosdow, den man 1940 in Moskau als „französischen und englischen Agenten“ erschoß.

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