© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Stadt, Land, Leerstand
Verstädterung: Während es in Ballungszentren immer enger wird, leidet die Provinz unter Landflucht
Toni Roidl

Deutschlands Wohnungsmarkt driftet auseinander. Während in den Ballungszentren die Mieten explodieren, werden immer mehr Landgemeinden zu Geisterdörfern. Doch es gibt auch eine kleine Gegenbewegung.

In allen Großstädten von Hamburg bis München melden Immobiliendienste dieselbe Lage: ständig steigende Mieten und wachsende Schlangen bei der Wohnungssuche. Auch in den Randlagen der Metropolen werden die Angebote knapp, obwohl kontinuierlich Neubaugebiete erschlossen werden. Besonders beliebt ist derzeit Potsdam, das bereits das Preisniveau von Wiesbaden erreicht hat. Die brandenburgische Landeshauptstadt verfügt über das höchste Pro-Kopf-Einkommen in den neuen Bundesländern.

Die Forderungen nach „bezahlbarem Wohnraum“ für Geringverdiener in den Metropolen hält Carsten Sellschopf, Sprecher des Bauunternehmens Hochtief, für Illusion und sagt: „Selbst wenn wir das Grundstück geschenkt bekämen, würde der Mietpreis im Neubau um 9,50 Euro liegen.“ Der Grund sind steigende Ansprüche an Größe, Ausstattung und Energieeffizienz von Wohnungen. „Man kann keine schön gestalteten und energiesparenden Gebäude wollen und dann eine Kaltmiete von fünf Euro erwarten“, sagt Sellschopf.

Schließt die Schule, fährt kein Regionalexpreß mehr

Der Sog in die „City“ hinterläßt Leere auf dem Land. Hier fallen die Preise ins Bodenlose. In strukturschwachen Regionen verlieren Immobilien dramatisch an Wert. Beispiel: Im Alsenztal im Donnersbergkreis (Rheinland-Pfalz) sind erschlossene Baugrundstücke und Einfamilienhäuser aus den 1980er Jahren teilweise für rund 30.000 Euro zu haben. Für diese Summe bekommen Kaufwillige im nur dreißig Kilometer entfernten Kaiserslautern gerade mal ein Appartement.

Mit den Einwohnern schwindet auch die Infrastruktur: aufgegebene Geschäfte, geschlossene Arztpraxen, stillgelegte Nahverkehrsstrecken. Keine Kneipe, keine Sparkasse, keine Schule. Dabei steigen gleichzeitig die Pro-Kopf-Kosten für kommunale Dienste. Die Versorgung mit Lebensmitteln wird zur Mobilitätsfrage. Besonders nachteilig wirken sich „löchrige Ortschaften“ auf die Region aus: Wegen komplizierter Eigentumsverhältnisse oder maroder Substanz wird oft neu gebaut, statt Leerstände neu zu nutzen oder ganz abzureißen. Das führt zu häßlichen „hohlen Zähnen“ im Stadtbild, die den Ort noch unattraktiver machen.

Die Quote der Rückkehrer nach dem Studium in ihre Heimatorte ist in ländlichen Regionen äußerst gering. Doch dafür sind es manchmal andere, die im Koma liegende Dörfer wiederbeleben. Von den Immobilien-Tiefpreisen angelockt, kommen mancherorts Stadtflüchtlinge aufs Land, um sich als Dörfler zu versuchen. Sie kommen mit viel Individualismus und Idealismus und suchen die Idylle. Oft bringen sie handwerkliches Geschick und Liebe zu regionaler Authentizität mit. In manchen Fällen sind es Erben, die sich entschließen, ihr Haus in der „Pampa“ selbst zu beziehen, weil sie in entlegenen Landstrichen weder Käufer noch Mieter finden.

Das geht natürlich nur, wenn der Berufstätige seinen Arbeitsplatz mitnehmen kann oder längere Pendelzeiten in Kauf nimmt. Ideal sind Berufe, in denen Kundenkontakt per Telefon oder E-Mail ausreicht, zum Beispiel in der E-Commerce-Branche. Andere versuchen, neue „landgerechte“ Geschäftsmodelle zu etablieren und eröffnen Biker-Pensionen, Ferien-Bauernhöfe oder Versandhandel für regionale Produkte.

Viele Gemeinden versuchen, Maßnahmen gegen ihre Verödung zu entfalten. In der Eifel, im Schwalm-Eder-Kreis oder in Thüringen stemmen sich Dorfgemeinschaften gegen den demographischen Trend. Die Konzepte sind vielfältig: vom „Laden für alles“, der Versorgungslücken schließen soll über Werbeoffensiven für Urlaub in der Natur bis zum ehrenamtlichen Rentner-Engagement bei gemeinsamen Renovierungsprojekten.

Begrüßungsgeld, Kita-Platz, Extra-DSL-Verbindung

Experten für Stadtentwicklung empfehlen, schrumpfende Dorfgemeinden auf ihren Kern zu konzentrieren und ehemalige Neubausiedlungen, die inzwischen zu Schrottimmobilien geworden sind, abzureißen. In den neuen Bundesländern sind schon viele Neubauviertel aus den siebziger Jahren abgerissen worden. Der Effekt sei positiv: „Die Dorfgemeinschaft rückt wieder zusammen“, schildert die Bürgermeisterin von Saara bei Gera mit trotzigem Optimismus: „Die Kinder wachsen zusammen auf und die Eltern kommen ins Gespräch.“

In Hottenbach im Hunsrück zahlt die Gemeinde Prämien für den Grundstückskauf und 300 Euro pro Jahr für jedes Kind, das in der Dorf-Kita angemeldet wird. Für den Ausbau des DSL-Netzes griff der ehrenamtliche Bürgermeister ebenfalls tief in die Kommunalkasse.

 

Steigende Preise: Beispiel Berlin

Berlin gehört zu den Städten, in denen die Preise erheblich steigen. 2013 lagen die Mieten bei durchschnittlich 7,20 Euro pro Quadratmeter und damit um 4,8 Prozent höher als im Vorjahr – eine dramatische Steigerung. Noch schneller als die Mieten steigen die Preise für Kaufimmobilien. Niedrigzinsen und Euroangst trieben die Berliner Immobilienpreise 2013 um 8,2 Prozent in die Höhe (1.943 Euro pro Quadratmeter). Die Preissteigerungen erleben dabei nicht nur gute Wohnquartiere, die als Anlageobjekt immer gefragt sind, sondern auch schlechte.

So liegt der Quadratmeterpreis im berüchtigten Problembezirk Neukölln mit 1.963 Euro über dem landesweiten Durchschnitt – trotz Problemen mit Zuwanderern, Kriminalität und hoher Arbeitslosigkeit. Die Kaufimmobilien verteuerten sich dort um 17 und die Mieten um neun Prozent. Die Preistreiber sind aber, anders als vielfach von Gentrifizierungsgegnern dargestellt, keine ausländischen Investoren. Dies trifft nur auf zwölf Prozent aller Käufer zu. Es sind in der Regel Deutsche, die sich eine Wohnung oder ein Haus in der Hauptstadt kaufen.

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