© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/14 / 16. Mai 2014

Blick aufs Nationale als Klammer
Europawahl: Eine Veranstaltung in Potsdam wirft einen Blick auf rechte und populistische Parteien
Ekkehard Schultz

Die Nervosität der etablierten Parteien in ganz Europa wächst. Schon seit Monaten wird in den Medien die Gefahr eines deutlichen „Rechtsrucks“ bei der anstehenden Europawahl vom 22. bis 25. Mai beschworen. Rund 50 EU-skeptische, rechte beziehungsweise rechtsextreme Abgeordnete, so die Befürchtungen der Mahner, könnten in das Brüsseler Parlament einziehen.

Der Politikwissenschaftler Michael Minkenberg wies jetzt allerdings darauf hin, daß trotz zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen weder in Deutschland noch in den Nachbarländern ein Konsens darüber besteht, was eigentlich genau „rechte“ Parteien ausmachen. Auffällig sei in diesem Zusammenhang, daß in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern besonders häufig mit dem Extremismusbegriff operiert werde, ohne „die große Heterogenität dieses Spektrums“ zur Kenntnis zu nehmen. In diesen Fällen diene „extrem“ nur noch als ein Synonym für „antidemokratisch“ oder „verfassungsfeindlich“, obwohl gerade rechtspopulistische Bewegungen „per se oft weder antidemokratisch noch staatsgefährdend“ seien, erläuterte Minkenberg in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg in Potsdam.

Von faschistischen Traditionen gelöst

Sinnvoller sei es daher, sowohl Gemeinsamkeiten, als auch Unterschiede über Ein- und Ausschlußkriterien wie Exklusionismus, Rassismus, Antisemitismus, Ethnopluralismus und Fremdenfeindlichkeit zu analysieren, schlug Minkenberg vor, der an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder lehrt. Dabei falle auf, daß die eigentliche Klammer zwischen rechten Parteien in Europa lediglich die „Überbetonung der nationalen Zugehörigkeiten“ bilde.

Ebenso wichtig sei es, die europäische Rechte nicht statisch, sondern im Kontext ihrer Entwicklung seit 1945 zu betrachten. Am Anfang hätten die rechtsstehenden Parteien noch stark an die Traditionen von faschistischen Organisationen angeknüpft. In den achtziger Jahren entstanden dann Parteien und Bewegungen, die nur noch geringe Gemeinsamkeiten mit der alten Rechten aufwiesen, wie etwa die Republikaner in Deutschland.

Heute sei Europa im Hinblick auf das rechte Parteienspektrum zweigeteilt. Während die Bedeutung von „faschistisch-autokratischen“ Organisationen im Westen stark nachgelassen habe und statt dessen populistische Parteien so erfolgreich wie nie zuvor agierten, seien in Osteuropa Erfolge von Nachfolgeparteien der Zwischenkriegszeit keineswegs selten. Dies resultiere in erster Linie daraus, daß es dort Ausgrenzungsstrategien wie in westlichen Staaten nicht gebe. Allerdings seien die Parteien dieses Spektrums auch weit instabiler als im Westen, wo die populistischen Organisationen auf ein Wählerpotential setzen könnten, das ihnen über viele Jahre hinweg treu bleibe – und dies unabhängig von Krisenzeiten. Mit diesen Parteien müßten sich daher nicht nur die nationalen Interessenvertretungen, sondern auch das Europäische Parlament „zwangsläufig arrangieren“, so das Fazit von Minkenberg.

Sprungbrett für nationale Wahlerfolge

Für die „Euro-Rechte“ ergebe sich dadurch freilich das Problem, daß sich eine offene Zusammenarbeit mit diesen Parteien auf der europäischen Ebene faktisch verbiete und sich somit Koalitionen nur auf wenige Mandatsträger beschränken könnten. Denn trotz einiger gemeinsamer Ansätze drohe den populistischen Parteien ein schwerwiegender Imageverlust in ihrer Heimat, sofern sie tatsächlich mit Rechtsradikalen kooperierten, prognostizierte Minkenberg. Selbst ein großer Wahlerfolg von rechten Parteien ändere auf europäischer Ebene somit nichts daran, daß sie auch weiterhin marginalisiert seien und somit auch „keinerlei größere Gefahr“ darstellen würden.

Für die größeren rechten Parteien sei das europapolitische Engagement zudem nur ein Sprungbrett, um über die dortigen Wahlerfolge ihre Stellung im nationalen Parteienspektrum zu stabilisieren oder weiter auszubauen. Damit schreite zwangsläufig zugleich auch ihre „Normalisierung“ in der Öffentlichkeit voran; eine Ausgrenzung falle immer schwerer. Dann sei es auch zu einer möglichen Beteiligung an der Regierung „nur noch ein kleiner Schritt“. Eine weitere Gefahr bestehe darin, daß nach rechten Wahlerfolgen konservative Parteien versuchen würden, „selbst stärker nach rechts zu rücken, um sich der neuen Konkurrenz wieder entledigen zu können“.

Minkenberg zog das Fazit, daß es weiterhin an einem Konzept „zur Entzauberung rechtspopulistischer Parteien“ mangele. „Panische Reaktionen auf rechte Wahlerfolge“ oder gar eine „Verteufelung“ hätten sich zumeist als ebenso kontraproduktiv erwiesen wie Verbote. Als einzige Möglichkeit nannte Minkenberg eine argumentative Auseinandersetzung mit führenden Protagonisten der Parteien, die „allerdings eine sehr gute Vorbereitung“ erfordere. Zudem sei das Aufgreifen der „tatsächlich bestehenden Probleme und Mißstände“ durch die etablierten Parteien ebenso unverzichtbar wie deren Beseitigung im gesellschaftlichen Konsens.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen