© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Der Flaneur
Heucheln mit Oblate
Josef Gottfried

Sie zergeht im Mund. Auf dem Weg zurück zur Bank überprüfe ich meine Handfläche, ob nicht doch ein Krümel zurück- geblieben ist. Da ist noch was, könnte jedenfalls sein, halb aus Zwang, halb zur Sicherheit fahre ich mit meinen Lippen über die Innenfläche meiner linken Hand, damit ja nichts verlorengeht, nichts entweiht wird.

Zurück in meiner Reihe steige ich an dem vorbei, der sitzen geblieben ist und ertappe mich bei der Frage, was ihn wohl zu dem Verzicht gezwungen hat. Nicht gebeichtet? Wilde Ehe? Schwul? Oder: Nicht getauft?

Schon schäme ich mich für diese kleinen, wenn auch nur gedachten Gemeinheiten gegenüber dem Fremden, dem ich gerade noch den Friedensgruß entboten habe. Und er mir!

Das Gebet fällt nur fahrig aus, da fehlt diese Ergriffenheit, die ich schon mal hatte.

Ich sinke mit den Knien auf die tiefe Bank vor mir, sie schmerzen mehr als sonst, meine ich. Das Gebet fällt nur fahrig aus, da fehlt diese Ergriffenheit, die ich angesichts solcher Wunder wie dem gerade erlebten schon mal hatte, kurz nach der Umkehr, und jetzt immer noch haben müßte. Es will aber nicht mehr so recht funktionieren. Ich sitze eher als die anderen wieder auf der hohen Bank hinter mir, rücke mein Einstecktuch zurecht, schaue auf meine rahmengenähten Schuhe und streiche nicht vorhandenen Staub von meiner dunkelblauen Anzughose.

Aus dem Augenwinkel sehe ich die Hippiefraktion, Katholiken mit der Wallewallebekleidung alter Psychotherapeutinnen, Ketten aus dicken, rotbraunen Holzperlen und den Sandalen von weichen Männern mit Bauch, Bart und Brille. Wieder schäme ich mich für diese Störgedanken. Was fällt mir eigentlich ein?! Dann irgendwann der Segen, ich höre ihn kaum, und langsam raus aus der Hofkirche, über den Schloßplatz zu den Brühlschen Terrassen. Dort wartet die Sonne auf mich, ein Cappuccino und eine Zigarette. Und der Anblick flanierender Frauen. Und das dumpfe Gefühl, ein schlechter Christ zu sein.

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