© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/14 / 09. Mai 2014

Das Geld der anderen
EU-Umverteilung: Eine Billion Euro werden in der EU jenseits der Euro-Rettung umverteilt – wofür eigentlich?
Susanne Kablitz

Erice, westlich von Palermo auf Sizilien gelegen, hat eine Seilbahn, die die malerische Bergstadt mit dem Tal verbindet. Bezahlt wurde das Projekt auch mit Steuergeldern aus Deutschland und anderen europäischen Staaten, denn die Seilbahn wurde durch den EU-Strukturfonds gefördert.

Projekte wie dieses zwar behindertengerechte, aber mangels Interesse wenig genutzte Verkehrsmittel gibt es zuhauf in der ganzen EU. Stadtumbauten in Graz. Ein Anti-Diskriminierungsprojekt in Yorkshire. Berufseinsteigerseminare in Berlin. Die EU hat ein wahres Füllhorn über dem Kontinent ausgeschüttet. Jahresvolumen: derzeit 135 Milliarden Euro. Mit Müh und Not konnte eine Steigerung der Ausgaben durch Deutschland und England 2013 verhindert werden.

„In einer Welt, die sich immer weiter entwickelt, wünschen wir uns eine intelligente, nachhaltige und integrative Wirtschaft für Europa. Diese drei Prioritäten, die sich gegenseitig verstärken, dürften der EU und den Mitgliedstaaten helfen, ein hohes Maß an Beschäftigung, Produktivität und sozialem Zusammenhalt zu erreichen“, so das blumige Zitat des Präsidenten José Manuel Barroso, welches die lobenswerten Absichten der Europäischen Kommission verdeutlichen soll.

Die EU verfügt in den Jahren 2014 bis 2020 über 960 Milliarden Euro, die von den Mitgliedern der Europäischen Union in den Gemeinschaftshaushalt eingezahlt werden – das sind rund 38 Milliarden Euro weniger als in den sieben Jahren zuvor. Der Finanzrahmen sei ein wichtiger Beitrag auf unserem Weg aus der Krise, so die Aussage des EU-Kommissionspräsidenten, der die ökonomischen, sozialen und umweltpolitischen Herausforderungen fest im Blick hat.

Fast eine Billion Euro in sieben Jahren

87 Prozent des Haushalts stammen direkt aus Beiträgen der Mitgliedstaaten, der Rest wird großspurig als EU-Eigenmittel bezeichnet. Damit sind vor allem Zolleinnahmen gemeint und ein festgelegter Anteil an der Mehrwertsteuer der Mitgliedsstaaten. Letztlich kommt das Geld immer von den EU-Bürgern.

Größter Nettozahler in der EU bleibt auch in den kommenden sechs Jahren mit großem Abstand Deutschland, dessen Nettobeitrag sich um jährlich gut eine Milliarde Euro erhöhte.

Viel Geld also, von dem rund 70 Prozent in den Agrarbereich und in die sogenannte Strukturförderung fließen. Die wichtigsten Posten bleiben mit einem Volumen von bis zu 351 Milliarden Euro: Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung, Europäischer Sozialfonds und Kohäsionsfonds zum Ausbau transeuropäischer Netze. So nennen sich die Wohltaten, die der EU und den Mitgliedstaaten helfen sollen, Beschäftigung, Produktivität und sozialen Zusammenhalt zu sichern. Es gibt aber noch zahlreiche weitere kleine Fonds.

Rund 80 Prozent der Mittel werden von regionalen und nationalen Behörden verwaltet, hierzu gehören in erster Linie Struktur- und Investitionsfonds und Agrarbeihilfen. Die anderen 20 Prozent der Programme werden hingegen von Brüssel vergeben, wo Anträge zur Förderung in den Bereichen Forschung, Bildung, Verkehr und Energie direkt bei der EU-Kommission gestellt werden müssen. Kompetenzgerangel mit merkwürdigen Folgen: Die Denkfabrik Open Europe Berlin hat festgestellt, daß fast ein Drittel der von den Einzelstaaten eingezahlten Gelder am Ende wieder für nationale Projekte verwendet werden. Dieses Geld nimmt jedoch jedesmal einen Umweg über Belgien.

Geld liegt in Brüssel auf der Straße

Die Programme, die die EU zur Förderung ausgeschrieben hat, sind unübersichtlich zahlreich, und so ist es auch kein Wunder, daß viele Insider in Brüssel der Meinung sind, daß das Geld dort „auf der Straße liegt“ und nur aufgehoben werden muß.

Es existieren allerlei Geschichten, die von einem enormen Mißbrauch der Mittel erzählen. Ob es nun hessische Kinogänger sind, die mit rund 1,4 Millionen Euro beglückt wurden, oder es sich um 9,4 Millionen Euro handelt, die der Firma Prokon Pflanzenöl genehmigt wurden – eine Firma übrigens, die von der Insolvenz der Mutter Prokon Regenerative Energien zwar nicht betroffen, ist, die aber bereits in den Jahren bevor der goldene Regen durch EU-Mittel auf sie niederfiel, enorme Verluste verzeichnete.

Ob es das Luxus- und Wellnesshotel in der Nähe von Heiligendamm ist, das mit 47 Millionen Euro subventioniert wurde und nun pleite ist, oder das „Backhaus Kutzer“, das 2,5 Millionen Euro aus dem bayerischen Fördertopf bekam und jetzt den kleineren Bäckereien das Überleben noch schwerer macht. In Italien wurden Schafe subventioniert, die es nicht gibt, und in Spanien Wiesen, die in Wirklichkeit Wälder sind. Der Bericht des Europäischen Rechnungshofes von 2013 kam auf eine Fehlerquote von stolzen 4,8 Prozent.

EU-Rechnungshof rügt diverse Fehlinvestitionen

Ganz kurios wird es, wenn ein Weltunternehmen wie Porsche, das 2012 einen Gewinn nach Steuern von 1,8 Milliarden – der Mutterkonzern VW insgesamt 21,9 Milliarden – auswies, in aller Ernsthaftigkeit einen Zuschuß von 44 Millionen zu einem Projekt mit einem Gesamtumfang von 520 Millionen Euro abfragt und dies mit der Schaffung von Arbeitsplätzen begründet. Es mutet schon nahezu humorig an, wenn ein Anteil von 0,02 Prozent am Gesamtgewinn eines Unternehmens durch Steuermittel, also mit dem Geld anderer Leute finanziert werden soll.

Auch Spanien hat ordentlich an den Fördertöpfen Platz genommen. In den Jahren 1996 bis 2007 wurde im Immobilienboom die Küste bei Murcia zugebaut. Murcia ist eine der trockensten Regionen in ganz Europa. Das Landesinnere von Murcia ähnelt einer Halbwüste, und so sollte die Bewässerung mittels eines Bewässerungssystems sichergestellt werden. 25 Millionen Euro flossen aus Brüssel – die Wasserleitungen sind bis heute nicht fertig, und Murcia ist immer noch trockenes Land.

Pieter Cleppe von Open Europe fordert, im EU-Agrarhaushalt die 55 Milliarden Euro Subventionen für Landbesitzer zu streichen und fragt sich, warum beispielsweise die englische Königin Unterstützung aus dem Agrarhaushalt benötigt.

Eine berechtige Frage und ein klarer Hinweis darauf, daß das Verteilen des Geldes anderer Leute in Projekte, die „ein hohes Maß an Beschäftigung, Produktivität und sozialem Zusammenhalt“ erreichen sollen, oftmals nur ein Profilierungsmittel ist und bei den Menschen, die diesen Ertrag erwirtschaftet haben, deutlich besser aufgehoben wäre.

 

Wie Berlin EU-Fördergelder verplempert

In der Haushaltsperiode 2007–2013 hat die EU alleine nach Berlin 1,2 Milliarden Euro zurückgepumpt. Der Senat stellt einige aus seiner Sicht wertvolle Projekte auf seiner Internetseite vor. Viele drehen sich um Aus- und Weiterbildung bestimmer Problemgruppen.

Beispielsweise das Programm Best („Berufsorientierungsbegleitung Eltern, Schüler: Tools“). Projektbeschreibung: „Schwerpunkt ist die Berufsorientierungsbegleitung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf der 9. und 10. Klassen, insbesondere derer mit Migrationshintergrund.“

Praktiker aus dem Bildungswesen schütteln angesichts dieser Projekte mit dem Kopf. Eine Förderschullehrerin zur JF: „Es gibt schon jetzt den Berufsorientierungsunterricht, das SOS Berufsberatungszentrum, den Klassenlehrer und einen Sozialarbeiter, der mit den Schülern für den Berufseinstieg übt.“ Trotzdem blieben viele Abgänger untätig oder versagten bei der Bewerbung. Daran ändere auch ein fünftes, EU-gefördertes Programm nicht, das Schülern bei der Bewerbung helfen soll. (rg)

www.berlin.de

Foto: Seilbahn in Erice auf Sizilien: „Kofinanziert durch die Europäische Union“ – solche Schilder weisen in fast ganz Europa auf EU-Projekte hin

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