© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Es sind noch Rudimente vorhanden
Ein Rückblick auf ein Jahrhundert deutsche Jugendbewegung und die verbleibenden Perspektiven dieses Phänomens
Rolf Sauerzapf

Im Oktober des vergangenen Jahres wurde an das „Meißner-Manifest“ von 1913 erinnert. Schon vorher war es 1901 zur Gründung des Wandervogels durch Karl Fischer gekommen. Die Deutung dieses kulturpolitisch einmaligen Phänomens als Jugendbewegung geht auf den Kulturphilosophen Hans Blüher zurück, der diesen Begriff 1911 in die Geschichtsschreibung einführte.

Mit der Broschüre „Uns geht die Sonne nicht unter. Was bleibt von der deutschen Jugendbewegung?“ von Manfred Müller ist die wohl beste derzeitige Darstellung dieser Jugendrevolte in Kurzfassung mit einem Ausblick auf die Gegenwart erschienen. Manfred Müller gehörte in den fünfziger und sechziger Jahren dem bündisch geprägten katholischen Bund „Neudeutschland“ an. Er verbindet sein „Insider-Wissen“ mit seiner historischen Kenntnis über die Jugendbewegung und ihrem faktischen Ende mit der Eingliederung der bündischen Jugend in die Hitler-Jugend nach 1933.

Eine Elite unter den Jungen einer ganzen Generation

Nach dem studentischen Aufbruch der Burschenschaften zu Beginn des 19. Jahrhundets erfaßte die Jugendbewegung vom Wandervogel bis zur „Deutschen Jungenschaft d.j. 1.11.“ (letzteres spielt auf das Gründungsdatum am 11. November 1929 an) von der Jahrhundertwende bis 1933/34 weite Teile der deutschen Jugend. Wenn es aufs Ganze auch eine Minderheit war, so war es doch eine Elite unter jungen Männern ihrer Generation.

Beim Wandervogel spielen Wandern und Fahrten der „fahrenden Scholaren“ eine große Rolle. Die bündische Jugend nach dem Ersten Weltkrieg brachte das Lager, die Fahne, Feuer und Feier, Spiel und Sport, das Singen mit der Klampfe aus dem „Zupfgeigenhansel“; ihr Stil prägte eine Generation. Mit der Überführung der bündischen Jugend in die Hitler-Jugend schien dieses Kapitel deutscher Jugendkultur zu Ende zu sein. Aber noch Hans Scholl von der Widerstandsbewegung der Weißen Rose hat als Jungvolkführer Elemente der Jugendbewegung eingesetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Westdeutschland zur Gründung der sogenannten „Jungen Bünde“, ­des Wandervogels, der Deutschen Freischar, der verschiedenen (auch konfessionell geprägten) Jungenschaften und Pfadfinderbünde. Die 68er-Revolte bildete weithin das Ende oder die Umfunktionierung der „Jungen Bünde“.

Beim Meißner-Jubiläum im vergangenen Jahr fand sich dennoch eine überraschend große Zahl der „jungen Bünde“ ein. Natürlich wurden schnell einschlägige Stimmen von der politischen Linken in Politik und Medien laut, die diese alternative Jugendkultur jenseits der Antifa als „Gefahr von rechts“ zu stigmatisieren versuchten. Man kann aber gespannt sein, welche Impulse von einer Renaissance der bündischen Kreise noch ausgehen werden.

Manfred Müller: „Uns geht die Sonne nicht unter.“ Was bleibt von der deutschen Jugendbewegung? Kultur- und Zeitgeschichte – Archiv der Zeit, Thurnau 2013, broschiert, 90 Seiten, 6,50 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen