© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Am Anfang war das Wort, doch dessen Akzeptanz bleibt eine Systemfrage. Das automatische Rechtschreibprogramm von Microsoft Outlook unterstreicht dies im wörtlichen Sinn – mit rot unterstrichelter Linie –, als ich den Namen Luhmann schreibe, um zu signalisieren: unbekannt/falsch. Die von mir zur Gegenprobe eingetippten Namen Adorno, Horkheimer, Marcuse und Dutschke bleiben unbeanstandet. Als ich daraufhin den Namen Rabehl anfüge, wird dieser sofort wieder als Fehler rot unterlegt. Wie war das noch mit dem richtigen Leben im falschen? Und was heißt das für die Wort-erkennung?

Hätte Adorno sich durchgesetzt, würden wahrscheinlich auch Gedichte rot unterstrichen, um die „Barbarei“ als optische Blutspur kenntlich zu machen. Insofern läßt Broders Bekenntnis („Vergeßt Auschwitz!“) auch auf befreitere Lyrik hoffen.

Für Luhmann, wird berichtet, heiße die Postmoderne so, weil die Post so modern sei. Als ich erstmals davon hörte, war der Begriff E-Mail für mich noch ein fremdes Wort. Als ich Ende der neunziger Jahre in einem Café das Gespräch zweier junger Geschäftsleute mithörte, von denen der eine klagte, daß er jeden morgen im Büro erstmal zwischen zwanzig und fünfzig „Mädels“ zu checken habe, war ich ganz neidisch, konnte mir aber aufgrund der äußeren Erscheinung der beiden keinen Reim darauf machen.

Im Deutschlandradio Kultur höre ich über die verstorbene Regielegende Gerard Mortier, die – was hier offenbar zu den Meilensteinen der jüngeren Kulturgeschichte gezählt wird – die schwulen Cowboys aus „Brokeback Mountain“ auf die Opernbühne gebracht hat. Mein Gott, ist das cool! Mehr aufhorchen dagegen lassen die drei bulligen Schwarzafrikaner in der S-Bahn. Wie sie miteinander in korrektem Deutsch – ohne Kanak-Sprak-Anleihen – kommunizieren, ist eine wohltuende Wirklichkeit, ebenso herzlich wie zivilisiert. Und ich ertappe mich bei der Erkenntnis, wie die medialen Bilder etwa vom Oranienplatz auch bei mir vorurteilsbeladene Kulissen vor die eigene Wahrnehmung geschoben haben. Nichts ist, wie es scheint.

Ein mir bekannter Kurator berichtet, wie er wegen eines frechen türkischen Taxifahrers, dem er zum Abschied sagte, er solle doch zurückgehen in seine Heimat, wenn es ihm hier nicht passe, sofort von der herbeigerufenen Polizei verhaftet wurde und schließlich mehrere hundert Euro zahlen mußte: Deutschland von hinnen.

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