© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Kühemelken ohne Kühe geht nicht
Postmodernes Bauen: Zum Tode des österreichischen Architekten Hans Hollein
Richard Stoltz

De mortuis nil nisi bene – über Tote nur Gutes! Diese bewährte Regel für Nekrologschreiber einzuhalten fällt nicht ganz leicht beim Gedenken an den Donnerstag voriger Woche im Alter von achtzig Jahren verstorbenen Wiener Architekten Hans Hollein, den weltbekannten Repräsentanten der sogenannten „Postmoderne“ in der Architektur. Aber zur Kritik reizt weniger das, was Hollein gebaut, als vielmehr das, was er gesagt hat.

„Wir müssen die Architektur vom Bauen befreien“, predigte er unermüdlich. „Architekten müssen endlich aufhören, nur in Bauwerken zu denken!“ Diesem Credo gemäß erschuf er nicht nur zahlreiche sehr bekannt gewordene Gebäude in verschiedenen Städten, sondern unter anderem auch eine pneumatische, also aufblasbare „Bürozelle“ aus Kunststoff, einen gigantischen „Rolls-Royce-Kühlergrill in freier Landschaft“ und einen nicht minder großen „Flugzeugträger“, der zwar nicht schwimmen, aber von dem aus auch keine wirklichen Flugzeuge starten konnten.

Sproß einer alten Familie von Steigern und Bergwerksingenieuren, liebte er vor allem das Bauen unter der Erde, „wo es keine Architektur gibt, weil der Berg selbst der Architekt ist“. So entstanden nach Holleins Plänen allerlei unterirdische Museumsbauten, darunter das 1982 eröffnete Städtische Museum auf dem Abteiberg in Mönchengladbach, das als Bauwerk eher einem stillgelegten Schacht gleicht, dem die Kohle ausgegangen ist.

Man kann es leider nicht anders sagen: Die Architektur vom Bauen befreien zu wollen, das ist so, als wolle man das Kühemelken von den Kühen befreien. So etwas geht einfach nicht. Trotzdem ehrendes Angedenken an den großen Nichtarchitekten Hans Hollein, der ein genialer Bergmann war! Wie heißt es in dem alten Bergmannslied? „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt!“ Jetzt hat der Steiger uns verlassen, aber sein „Licht bei der Nacht“ leuchtet weiter.

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