© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Moderne Schmierfinken
Kann es eine echte Kunst im falschen Kunstbetrieb geben? Neue Skandale vermehren einen alten
Sebastian Hennig

Das neuerliche Ereignis mit den gefälschten Gemälden ist in mehrfacher Hinsicht eine beredte Groteske. Über Jahre hinweg kassierten Betrüger Millionen für Bilder der US-Nachkriegsmoderne in der Manier von Jackson Pollock, Mark Rothko und Willem de Kooning, die von einem chinesischen Straßenmaler in New York stammen. Es ist eine Posse in der Art der Kurzgeschichte „Betrogene Betrüger“ von O. Henry. Denn die gefälschte Aura war selbst nie echt. Um das zu begreifen, ist ein Blick auf die Vorgeschichte nötig, in der diese Künstler aufgebaut und aufgebauscht wurden.

1999 erschien das Buch „Who Paid the Piper? CIA and the Cultural Cold War“ der britischen Journalistin Frances Stonor Saunders. Auf dem Umschlag der amerikanischen Ausgabe trägt der Weißkopfseeadler einen Borstenpinsel im Schnabel. Zeit-Herausgeber Josef Joffe hat das Buch in der New York Times Book Review verrissen. Als es dann 2002 im Siedler-Verlag unter dem Titel „Wer die Zeche zahlt …“ erschien, wurde es kaum beachtet. Saunders schildert darin beredt, wie der CIA zum Ghostwriter der neueren Kunstgeschichte wurde (JF 23/03).

Die Paten einer US-amerikanischen Kulturhegemonie hatten nämlich zunächst ihre Mühe, gegen den Widerspruch konservativer Landsleute den abstrakten Expressionismus in Stellung zu bringen. Noch Präsident Harry S. Truman erquickte sich allmorgendlich in der Washingtoner Nationalgalerie. 1948 schrieb er in sein Tagebuch: „Es ist ein reines Vergnügen, vor etwas Vollkommenen zu stehen und dabei an die faulen und verrückten Modernen zu denken. Es ist so, als vergliche man Christus mit Lenin.“ Ein andermal sprach er öffentlich davon, der Vergleich mit den alten Holländern lasse „unsere modernen Schmierfinken und frustrierten Sonntagsmaler als das erscheinen, was sie sind“. Bis zur Schilderhebung dieser „Schmierfinken“ zu Botschaftern von Freiheit und Ungebundenheit war ein langer Reklamefeldzug nötig.

Unter Präsident Eisenhower wurde diese Kunst schließlich zur „Stütze der Freiheit“. Das war der grotesken Situation zu danken, daß der Spätest-Modernismus in umgekehrter Proportionalität die Kennzeichen erfüllte, welche die nationalsozialistische Propaganda für die Entartung der Kunst diagnostiziert hatte. Als hervorragende Eigenschaft der neuen amerikanischen Staatskunst, deren Subtilität und Raffinesse damals noch niemand ernstlich zu behaupten wagte, galt ihre vermutete Zurückweisung durch ein überwundenes totalitäres Regime oder durch den Systemgegner Rußland.

Die Kunsttempel-Reiniger unter Stalin und Hitler bekämpften die vitale zeitgenössische Kunst, indem sie diese generell als degeneriert, primitiv und ungeschlacht diffamierten. Im Umkehrschluß sollten nun gerade diese unterstellten Merkmale alle sonst an Kunstwerken bewunderten Vorzüge ersetzen. Statt malerischer Intensität, Stilwillen, räumlicher Imagination, Erfindungsgabe und gestalterischer Verdichtung waren Kraftmeierei, Infantilität, ungestaltete Zufallsergebnisse und beziehungsloses Flächendekor Ausweis für freiheitliche fortschrittliche Kunstausübung. Die gleichen stilbewußten Pariser, die sich in der Besatzungszeit von der geschickten nationalsozialistischen Kulturpolitik bestricken ließen, verspotteten 1954 die Wanderausstellung des MoMA „Zwölf zeitgenössische amerikanische Maler und Bildhauer“ als „Mr. Foster Dulles’ zwölf Apostel“.

US-Präsident Eisenhower verkündete: „Solange Künstler die Freiheit genießen, ihre Gefühle mit großer Intensität auszudrücken, und solange unsere Künstler die Freiheit genießen, ihrem Schaffen mit Ernsthaftigkeit und Überzeugung nachzugehen, solange wird es in der Kunst gesunde Kontroversen und einen Fortschritt geben (…) In einem tyrannischen System sieht die Sache ganz anders aus. Wenn man Künstler zu Sklaven und Werkzeugen des Staates macht, wenn Künstler zu Chefpropagandisten werden, ist der Stillstand programmiert, werden Schaffenskraft und Genie zerstört.“

Der General hat in dieser Beziehung klarer gesehen als andere. Nur wollte er das „friendly fire“ nicht wahrhaben, in dem schließlich die Front jener malenden Freiheitskämpfer dem programmierten Stillstand verfiel, Schaffenskraft und Genie zerstört wurden. Der Künstler Ad Reinhardt war ein scharfzüngiger Kritiker aus den eigenen Reihen. Er bezeichnete Rothko als „Hochglanzbohemien“, Pollock als „aufpolierten Penner“, und Barnett Newman galt ihm als „Marktschreier und Bildungskrämer der Avantgarde“, als ein „Teilzeitprophet“. Saunders schildert in ihrem Buch den Wandel: „Die einstigen Saufkumpane aus der Cedar Tavern wohnten nun in Eigenheimen in den Hamptons, in Providence oder Cape Cod; die Gruppenfotos früherer Zeiten wie das der ‘Reizbaren’ 1950 waren Titelgeschichten in der Vogue gewichen, in denen die vormals zornigen jungen Männer eher wie Börsianer wirkten.“

Der Farbtröpfler Pollock war zuletzt ein armer Tropf. Er raste sich 1956 mit dem Auto zu Tode. Darin folgte ihm 1965 der Bildhauer David Smith. Zuvor schon hatte sich Arshile Gorky erhängt, Franz Kline zu Tode gesoffen. Als sich 1970 Mark Rothko die Pulsadern öffnete, sahen seine Freunde die Selbsttötung als Resultat des unlösbaren Widerspruchs von künstlerischem Antrieb und Wirksamkeit. Hier wollte ein Idealist mit der reinen Farbe die Ordnung erschüttern und sah dann seine Bilder im Foyer der Chase Manhattan wieder, wo sie den Eindruck hinterließen, sie wären als Schimmelblüte des Wuchers geradewegs aus den Wänden hervorgewachsen.

Zur Eröffnung einer Ausstellung von Zeichnungen des Dresdner Künstlers Wilhelm Rudolph im Sächsischen Regierungspräsidium verglich 1995 der Redner die nervösen Rohrfederstriche, welche die verwüstete Heimatstadt wiedergeben, mit Jackson Pollocks ungestalteten Farbtröpfeleien. Während bei Rudolph der abgründige Schrecken in künstlerischer Form gebannt ist, ist Polocks Malerei inkontinent, indem sie unablässig tropft, gleichsam aus einer Farbbüchse der Pandora.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen