© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Wem gehört das Internet?
Konferenz: Bei der Netmundial in São Paulo ging es hinter den Kulissen um amerikanische Wirtschaftsspionage
Michael Ludwig

Das mit großen Erwartungen verknüpfte Gipfeltreffen Netmundial, an dem 800 Teilnehmer aus 85 Ländern eine überzeugende und von allen mitgetragene Grundlage für die zukünftige Gestaltung des Internets schaffen wollten, ist in der vergangenen Woche im brasilianischen São Paulo zu Ende gegangen. Doch die Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben es – wieder einmal – nur zu einem unverbindlichen Dokument geschafft. Es umfaßt nicht einmal zehn Seiten und erinnert in fataler Weise an die weitgehend nutzlosen Berichte über Klimawandel, Millenniumsziele und andere Allerweltserklärungen.

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff hatte die Konferenz einberufen, um angesichts der globalen Abhörpraxis des amerikanischen Geheimdienstes NSA ein Regelwerk zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des einzelnen ins Leben zu rufen. Die Zeit dafür schien günstig gewählt, denn zahlreiche Länder zeigten sich nicht mehr dazu bereit, die illegale Sammelwut von Daten ihrer Bürger und das Ausspähen ihrer Unternehmen durch die NSA klaglos hinzunehmen. In ihrer Eröffnungsrede erklärte die Präsidentin: „Die Enthüllungen über die Mechanismen der kollektiven Überwachung haben dazu geführt, daß diese Vorgehensweise in der öffentlichen Meinung Brasiliens sowie in der gesamten Welt abgelehnt wird.“ Und sie fügte hinzu, daß sie „gegen die Natur des Internets verstößt, das offen, vielfältig und frei ist“.

Privatsphäre jetzt offiziell ein „schützenswertes Gut“

Washington, das ebenfalls Vertreter zur Konferenz entsandt hatte, zeigte sich, wenigstens nach außen hin, einsichtig, auch wenn es zu einer Entschuldigung, wie sie die brasilianische Regierungschefin gefordert hatte, nicht reichte. Michael Daniel, Chef der US-Delegation, betonte, daß sein Land das Vertrauen der Internetbenutzer zurückgewinnen müsse. „Wie Präsident Obama bereits im Januar erklärt hatte, sind wir dazu verpflichtet, eine Ordnungspolitik im Internet zu schaffen, die den vielseitigen Ansprüchen gerecht wird. Die Staaten müssen den Weg frei machen für technische Innovationen, wirtschaftliche Entwicklung und die Verteidigung der Menschenrechte.“ Kein Wort über Edward Snowden, kein Wort der Reue.

Immerhin gibt es den Lichtblick, daß im Abschlußdokument das Recht auf Privatsphäre als ein schützenswertes Gut definiert wird. „Das schließt den Schutz vor willkürlicher oder rechtswidriger Überwachung ein“, heißt es dort. Daß dies seinen Niederschlag gefunden hat, ist nicht zuletzt den Internetaktivisten zu verdanken, die sich dafür stark gemacht haben. Unter ihnen befand sich auch der britische Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee, der als einer der Begründer des Netzes gilt. Er sprach sich dafür aus, daß die USA aufgrund der Snowden-Affäre nicht mehr für die weltweite Vergabe von Domainnamen und IP-Adressen zuständig sein sollen.

Aber nicht nur der US-amerikanische Angriff auf die Bürgerrechte sorgte bei dem Gipfeltreffen für Unbehagen, sondern auch die hemmungslose Industriespionage Washingtons. Für das Gastgeberland Brasilien bedeutete dies eine besonders bittere Pille, die es schlucken mußte, war doch der Energieriese Petrobras Ziel dieser Begehrlichkeiten. Da Öl und Gas zu den wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen zählen, ließ die NSA nichts unversucht, die strategischen Ziele von Petrobras auszuspähen und zu beeinflussen. Und so kann davon ausgegangen werden, daß die NSA, wenn auch unsichtbar, mit am Verhandlungstisch eines Luxushotels am Strand von Rio de Janeiro saß, als der brasilianische Staat in Zusammenarbeit mit Petrobras das ergiebige Ölfeld „Campo de Libra“ rund 180 Kilometer vor der Küste Rios verhökerte. Die Vorkommen dort werden auf acht bis zwölf Milliarden Barrel geschätzt, und wenn die Ausbeutung beginnt, wird sie Brasilien in die Spitzengruppe der Ölförderländer katapultieren. Den Zuschlag bekamen neben Petrobras (40 Prozent) die europäischen Firmen Shell und Total (jeweils 20 Prozent) sowie zwei staatliche chinesische Energieunternehmen (jeweils zehn Prozent).

NSA hat die Ölfirma Petrobras ausspioniert

Vor allem die Information, daß chinesische Firmen erfolgreich verhandelt haben, dürfte die US-Regierung beunruhigen, denn die Volksrepublik ist dabei, ihre Rohstoffbasis in Südamerika auszuweiten. Erst vor kurzem hat „China National Petroleum Corporation“ für rund 2,6 Milliarden Dollar Öl- und Gasvorkommen in Peru gekauft. Verkäufer war Petrobras.

Im zeitlichen Zusammenhang mit der Konferenz zeichnete sich auch ab, daß die sogenannte Netzneutralität zu Ende geht. Vor ein paar Tagen wurde bekannt, daß die US-Telekommunikationsbehörde FCC plant, eine bisher gültige Grundregel im Internet außer Kraft zu setzen – nämlich die, daß alle Onlineinhalte unabhängig von der Quelle gleichberechtigt schnell zu den Nutzern weitergeleitet werden. Kritiker warnen vor einem „Internet mit zwei Geschwindigkeiten“. Netzgiganten wie Youtube, Google, Amazon und Netflix könnten dann, gegen entsprechende Bezahlung, dafür sorgen, daß ihre Inhalte auf der Datenautobahn auf die Überholspur ausweichen dürfen. Die logische Folge wäre, daß die Daten der übrigen User, die keine zusätzlichen Gebühren zahlen wollen, langsamer ihre Ziele erreichen. Die FCC will die neue Regelung am 15. Mai formell verabschieden.

Die Ankündigung hat bei Netzaktivisten und Bürgerrechtsorganisationen Proteste ausgelöst. Ein Sprecher von „Free Press“ kritisierte, die FCC schaffe ein Bezahl-Internet. Dies komme einem Desaster für junge Unternehmen gleich, die nicht über genügend Kapital verfügen. Es schade auch Non-Profit-Organisationen und allen normalen Internetnutzern.

 

Rußland: Firmengründer auf der Flucht

Nicht nur westliche Geheimdienste forschen mit zahlreichen Mitteln das Netz und seine Nutzer aus. Auch russische Dienste klauben alles an Informationen zusammen, was sie bekommen können. Das russische Parlament hat gerade ein neues Gesetz verabschiedet, das Internetunternehmen zur Vorratsdatenspeicherung nach EU-Muster zwingt. Auch in Rußland firmiert das harmlos klingende Gesetz „Information, Informationstechnologien und Schutz von Informationen“ unter dem Label „Anti-Terror-Kampf“. Wenn sich Firmen wie Facebook oder Skype nicht daran halten, kann ihr Betrieb in Rußland eingestellt werden. Präsident Putin hat das Internet unlängst als CIA-Projekt bezeichnet.

Aber auch russische Dienste sind betroffen. Eine der wichtigsten russischen Webseiten ist V-Kontakte, ein Sozialnetzwerk wie Facebook. Firmenchef Pawel Durowist ist gerade untergetaucht, nachdem Putin-freundliche Manager die Macht in der von ihm gegründeten Firma übernommen haben. Er wirft dem Kreml vor, dieser habe Nutzerdaten von ihm verlangt, die er nicht habe herausgeben wollen. (rg)

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