© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Zum Erfolg verdammt
Europawahl: Mit zwei Veranstaltungen in Köln startet die AfD in die heiße Phase des Wahlkampfes
Marcus Schmidt

Karl Lauterbach platzt der Kragen. „Herr Henkel, ich schäme mich, mit ihnen an einem Tisch zu sitzen“, sagt er. Doch der angesprochene AfD-Vize und Europawahlkandidat, der sich zudem noch als „Nationalchauvinist“ beschimpfen lassen muß, reagiert amüsiert. Aus dem Publikum ist lautes Gelächter zu hören, Zwischenrufe, Applaus.

Auf der Bühne eines Kölner Hotels, in dem sonst Karnevalssitzungen stattfinden, hat AfD-Chef Bernd Lucke an diesem Samstag abend gerade sein kabarettistisches Talent bewiesen. Denn der SPD-Abgeordnete Lauterbach ist überhaupt nicht im Saal. Seine kurzfristige Absage der Teilnahme an einer Podiumsdiskussion mit Henkel und Lucke hatte er mit „Terminschwierigkeiten“ begründet. Kurzerhand schlüpft Lucke in die Rolle des Euro-Retters Lauterbach. „Ich bedauere ein bißchen, daß der Lucke gekniffen hat“, sagt der AfD-Chef, nachdem er sich eine eigens besorgte Fliege umgebunden hat, das Markenzeichen seines abwesenden Kontrahenten. Zur Freude des Publikums spielt Lucke in der Folge virtuos mit den Argumenten des politischen Gegners. So lobt er etwa die Euro-Rettung aus „großzügiges Hilfsangebot an die Griechen, um den völlig unvorhersehbaren Staatsbankrott abzuwenden.“ Den Euro selbst preist er überschwenglich als „Friedensprojekt“.

Vor dieser unkonventionellen Gesprächsrunde waren die Euro-Kritiker am Nachmittag vor der imposanten Kulisse des Kölner Doms in die heiße Phase des Europawahlkampfes gestartet. Partei-Chef Lucke erklärte dabei in seiner Rede die Europawahl zum Kampf um das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen. „In Deutschland traut man sich nichts mehr zu sagen, wenn in Europa etwas gegen die deutschen Interessen läuft“, kritisierte er vor rund 500 Anhängern auf dem Roncalliplatz. Es sei an der Zeit, die Freiheit zurückzugewinnen, offen zu sagen, was die deutschen Interessen seien.

Henkel warnte vor einem europäischen Zentralstaat und mahnte eine Verschlankung der Europäischen Union an. „Die EU muß zurück zu den Wurzeln. Sie darf nur das entscheiden, was sie besser machen kann als die Nationalstaaten“, forderte er. „Die AfD-Abgeordneten im Europaparlament werden sich unbeliebt machen, weil wir uns für die Abschaffung von Privilegien einsetzen werden“, versprach Henkel.

Die Kundgebung stand unter dem Eindruck gewalttätiger Übergriffe auf Wahlkämpfer der AfD (siehe Meldung auf dieser Seite). Auch in Köln mußte die Polizei eingreifen, als rund zwei Dutzend Linksextremisten versuchten, die Veranstaltung zu stören. Lucke rief seine Anhänger auf, sich von den „feigen Angriffen“ nicht beirren zu lassen. „Die Anfeindungen müssen uns Ermutigung und Bestätigung dafür sein, uns für eine freiheitlich-demokratische Ordnung einzusetzen.“ Die Partei werde sich nicht einschüchtern lassen, sondern mit doppelter Anstrengung zurückschlagen.

Parteivertreter äußerten sich unterdessen am Rande des Wahlkampfauftaktes enttäuscht über den verhaltenen Zuspruch der Anhänger. Während einige auf den Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen verwiesen, der viele Mitglieder in Beschlag nehme, klagten andere über mangelnde Unterstützung der Bundespartei. Diese spielte den Ball zurück. Der Landesverband habe sich ausdrücklich darum bemüht, eine größere Veranstaltung zur Europawahl zu übernehmen.

Dennoch ist die Stimmung zu beginn der heißen Wahlkampfphase gut. Auch wenn aus der Partei gelegentlich zu hören ist, daß das Engagement der Mitglieder im Vergleich zum Bundestagswahlkampf etwas nachgelassen habe. Derzeit liegt die AfD in den Umfragen bei sechs bis sieben Prozent. Lucke hat als Ziel bis zu acht Prozent ausgegeben. Nach der Bundestagswahl, bei der sich viele in der Partei mehr ausgerechnet und nicht wenige auf ein zweistelliges Ergebnis gefofft hatten, ist man vorsichtig geworden. Intern wird dennoch jedes Ergebnis unterhalb der bei der Bundestagswahl erreichten 4,7 Prozent als Niederlage angesehen.

Die Auftaktveranstaltung in Köln stand am Ende einer für die AfD turbulenten Woche. Am vergangenen Mittwoch hatte die Welt berichtet, daß die Partei bei einem Berliner Unternehmer einen zinsgünstigen Kredit über 640.000 Euro aufgenommen habe.

Die Partei sucht einen „Spion“

Bereits Ende vergangenen Jahres hatten zwei Darlehen über jeweils 500.000 Euro, die im Bundestagswahlkampf aufgenommen wurden, für Schlagzeilen gesorgt. Einige Staatsrechtler sprachen in diesem Zusammenhang von verdeckten Parteispenden. Unter den Finanzexperten der Partei wird der neuerliche Kredit indes unter Verweis auf die nach der Europawahl anfallende Wahlkampfkostenerstattung als unproblematisch angesehen. Daß der Kredit öffentlich bekannt wurde, sorgte in der Parteiführung dennoch für Unmut. „Da muß einer von uns gequatscht haben“, ärgerte sich ein Mitglied des Parteivorstandes.

Für deutlich mehr Aufregung unter den AfD-Anhängern sorgten in der vergangenen Woche Berichte über einen „Spion“ in den eigenen Reihen. In einer Rundmail hatte die Parteiführung die Mitglieder darüber informiert, daß der Urheber des über das Internet verschickten „Alternativen AfD-Newsletters“ ermittelt worden sei. Darin seien in den vergangenen Monaten unter dem Schutz der Anonymität „Führungspersonal der AfD und weitere Parteimitglieder in übelster Weise verleumdet und beleidigt“ worden. Auch die Partei als solche sei mit bewußt falschen Anschuldigungen überzogen worden. Eine eigens beauftragte IT-Sicherheitsfirma habe nun „ein namentlich bekanntes ehemaliges AfD-Mitglied“ als Urheber ermittelt, teilte der Vorstand mit. Den Namen hält die Parteiführung unter Verschluß – unter den Mitgliedern hat die Jagd nach dem Unbekannten indes längst begonnen.

Foto: Wahlkampfauftakt der AfD in Köln: Weniger als 4,7 Prozent wären für die Partei eine Niederlage

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