© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

Wettlauf mit der Zeit
Armutseinwanderung: Gesetzesänderung soll Zuzug vom Balkan eindämmen
Christian Schreiber

In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung versucht, ein Problem zu lösen, dessen Existenz bis vor kurzen beharrlich ignoriert wurde. Doch die Armutszuwanderung in die Bundesrepublik hat besorgniserregende Ausmaße angenommen. Fast jeder fünfte Asylantrag, der zuletzt in Deutschland gestellt wurde, stammt von Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Die Bundesregierung will die drei Balkanstaaten nun als „sichere Herkunftsländer“ einstufen. Die entsprechenden Anträge könnten dann viel schneller bearbeitet – und in aller Regel abgelehnt werden, so die Hoffnung der Großkoalitionäre.

Es ist wenig verwunderlich, daß sich gegen diese Entscheidung prompt Protest regte. „Es gibt genügend internationale Berichte, die die Menschenrechtslage in diesen Ländern als besorgniserregend beschreiben“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt dem Tagesspiegel. Pro Asyl moniert in den Ländern schwere Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Verstöße gegen die Pressefreiheit und nicht funktionierende Strukturen im Justizsystem. Darüber hinaus spricht die Organisation ein heikles Thema an, welches seit einigen Tagen wieder verstärkt thematisiert wird. In den drei Balkanstaaten würden Roma massiv diskriminiert und derart ausgegrenzt, daß ihre Existenz bedroht sei.

Zustrom aus Rumänien und Bulgarien hält an

Um diese Volksgruppe dreht sich auch die aktuelle Debatte um die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Die seit Anfang 2014 geltende uneingeschränkte Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien stellt manche Städte offenkundig vor ernste Probleme. Wie die Bundesregierung nun mitteilte, hätten Kommunalvertreter unlängst auf einen „weiterhin deutlich ansteigenden Zuzug aus Rumänien und Bulgarien insbesondere in Großstädte“ hingewiesen. Alleine in Berlin habe sich den Angaben zufolge die Zahl der Rumänen und Bulgaren seit Ende 2010 auf rund 30.000 verdoppelt. Schon im Januar, dem Start der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger beider EU-Staaten, sei ihre Zahl in Deutschland um 9.850 gestiegen, heißt es laut dpa in einer internen Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Durch die Zahlen sieht sich das Institut in seiner Annahme bestätigt, daß 2014 unter dem Strich zwischen 100.000 und 180.000 Rumänen und Bulgaren nach Deutschland zuwandern könnten. Das IAB weist darauf hin, daß viele Zuwanderer gut qualifiziert seien und keine Probleme hätten, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die Ende des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, und an der IAB-Forscher Herbert Brücker beteiligt war, tendiert in dieselbe Richtung. „Die Arbeitgeber freuen sich über junge Fachkräfte aus Osteuropa und den süd-europäischen Krisenstaaten, die Städte hingegen beklagen eine ’Armutszuwanderung‘ aus Rumänien und Bulgarien“, heißt es dort. Sowohl die Bertelsmann-Stiftung als auch das IAB gelten als äußerst zuwanderungsfreundlich. So kommt die Studie zu dem Ergebnis, daß sich die Struktur der Einwanderer nach Deutschland im vergangenen Jahrzehnt grundlegend verändert habe. „Waren im Jahr 2000 die Neuzuwanderer mehrheitlich niedrigqualifiziert, so waren sie zehn Jahre später mehrheitlich hochqualifiziert. Dabei sind vor allem die Hochschulen Magneten qualifizierter Zuwanderung: Der Anteil der Studierenden unter den Neuzuwanderern stieg von 13,6 Prozent im Jahr 2000 auf 21,2 Prozent im Jahr 2009.“ Die deutsche Wirtschaft und der Sozialstaat würden von einer qualifizierten Zuwanderung profitieren. Wenn 60 Prozent der Neuzuwanderer über einen Hochschulabschluß verfügen und ihre Integration in den Arbeitsmarkt gelinge, dann sinke die Arbeitslosenquote, während das Lohnniveau konstant bleibe. Die in der Öffentlichkeit verbreitete Angst, eine weitere Öffnung der Arbeitsmärkte für Zuwanderer führe zu sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit, könne damit entkräftet werden.

Massive Probleme mit Neuankömmlingen

Doch die Realität sieht einige Monate später ein wenig anders aus. Besonders in der Bundeshauptstadt kommt es derzeit zu massiven Problemen, weil ein Teil der Neuankömmlinge eben nicht ausreichend qualifiziert für den Arbeitsmarkt ist. So bezieht in Berlin fast jeder vierte Bulgare oder Rumäne Hartz IV, in Frankfurt am Main und Offenbach ist es etwa jeder siebte. Besonders gefragt seien bei bulgarischen und rumänischen Zuwanderern die Städte Duisburg, Hamburg und Nürnberg, heißt es in dem IAB-Papier. Solche Ballungen lösten sich aber oft mit wachsender Integration und besseren Deutschkenntnissen der Zuwanderer auf, hofft das Institut.

Aufgrund der geschilderten Probleme einiger westdeutscher Großstädte mit der Zuwanderungswelle will die Bundesregierung den Einwanderern aus EU-Ländern weniger Zeit zur Arbeitssuche in Deutschland geben. Damit soll das Erschleichen von Sozialleistungen verhindert werden. Die Große Koalition will im Juni, kurz vor der Sommerpause, einen endgültigen Maßnahmenkatalog präsentieren.

Foto: Bettlerin aus Südosteuropa in München: Erschleichen von Sozialleistungen soll verhindert werden

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