© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/14 / 02. Mai 2014

„Der islamische Faschismus“
Ist der radikale Islamismus die eigentlich korrekte Deutung des Islam? Ist der Islam an sich gar faschistoid? Unvermutet hat sich Hamed Abdel-Samads neues Buch zum Bestseller entwickelt.
Moritz Schwarz

Herr Abdel-Samad, wie bedroht sind Sie?

Abdel-Samad: Das weiß ich nicht.

Warum nicht?

Abdel-Samad: Es hängt davon ab, ob sich jemand findet, der den Mordaufrufen dreier bedeutender ägyptischer Islam-Gelehrter gegen mich folgt. Es kann jederzeit passieren oder auch gar nicht. Salman Rushdie lebt noch, Theo van Gogh leider nicht mehr!

In Ihrem Buch schreiben Sie allerdings: „Um mich selbst habe ich keine Angst.“

Abdel-Samad: Ich versuche nicht daran zu denken, um den Drohungen keine Macht über mein Leben zu geben. Meine Mutter allerdings ist in großer Sorge, und ich trete inzwischen nur noch unter Polizeischutz öffentlich auf.

Haben Sie mit einer derartigen Wirkung Ihres Buches gerechnet?

Abdel-Samad: Anlaß für die Mordaufrufe war nicht das Buch, sondern ein Vortrag von mir, den ich im Sommer 2013 in Kairo gehalten und in dem ich die These vertreten habe, daß faschistoides Gedankengut nicht erst mit dem Aufstieg des Islamismus Eingang in den Islam gefunden hat, sondern bereits in dessen Urgeschichte begründet ist.

Demnach wäre der Islamismus kein Mißbrauch des Islam durch Extremisten, sondern dessen korrekte Interpretation?

Abdel-Samad: Jahrelang hat die deutsche Islamwissenschaft der Öffentlichkeit die Mißbrauchsthese verkauft. Ich halte sie für eine Lüge.

Eine Lüge?

Abdel-Samad: Viele – nicht alle – deutsche Islamwissenschaftler versuchen das Image des Islam aufzupolieren. Sie mögen gute Absichten haben, aber das führt zu der Lüge, Islam und Islamismus hätten nichts miteinander zu tun.

Dann wären sie Apologeten, keine Wissenschaftler?

Abdel-Samad: Fakt ist, sie haben die deutsche Öffentlichkeit völlig in die Irre geführt. Etwa wenn sie immer wieder von der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie sprechen.

Greift es nicht zu kurz, auf die Islamwissenschaftler zu zeigen? Liefern sie nicht einfach das, was gesellschaftlich erwünscht ist?

Abdel-Samad: Nein, das ist nicht von der deutschen Gesellschaft gewünscht, sondern von der Politik. Andererseits haben sich durchaus auch einige Politiker von ihnen in die Irre führen lassen.

Bundespräsident Wulff meinte: „Der Islam gehört zu Deutschland.“

Abdel-Samad: Ich glaube nicht, daß er das gesagt hätte, ohne vorher von einem „wohlmeinenden“ Isalmwissenschaftler in diese Richtung „beraten“ worden zu sein. Ich glaube aber, daß die deutsche Gesellschaft das ganz und gar nicht so sieht, und zwar weil sie es so nicht erlebt. So etwas sagt jemand, der nicht in Kontakt mit der Realität ist, der nichts vom Ausmaß der Probleme weiß und nichts davon, wie die Bürger wirklich denken.

Zeigt die Ablehnung von Wulffs These nicht vielmehr, wie weit Islamhaß und Rassismus in die Mitte unserer Gesellschaft reichen?

Abdel-Samad: Ich halte die Mehrheit dieser Menschen keineswegs für rechtsradikal, sondern vielmehr für ganz normal: für Menschen, die sich vernünftigerweise Gedanken und Sorgen machen. Mit Pauschalvorwürfen dagegen löst man keine Probleme.

Aber die Islamverbände argumentieren doch ähnlich.

Abdel-Samad: Ach, denen geht es nur um ihren Einfluß, nicht um die Probleme. Genau wie viele Islamwissenschaftler stellen sie alles ganz harmlos dar und verbieten sich jede Kritik.

Schuld am Islamismus sind nach bisheriger Lesart die Europäer, ihr Kolonialismus habe ihn provoziert.

Abdel-Samad: Der Islamismus ist keineswegs einfach nur eine Reaktion, sondern ist in der Urgeschichte des Islam angelegt. Es waren nicht die Islamisten, die die Welt in Gläubige und Ungläubige aufgeteilt, die den Anspruch auf Weltherrschaft formuliert, die das Prinzip des Dschihad ersonnen haben. Also den Krieg als Dienst an Gott, den Kampf als etwas Mystisches – daß man nicht kämpft, um zu leben, sondern lebt, um zu kämpfen. Der Schriftsteller Umberto Eco hat 14 Merkmale des Ur-Faschismus aufgelistet, die auf den Islam haargenau zutreffen, ich nenne sie in meinem Buch.

Aber ist Ihr Faschismusvorwurf nicht die unhistorische Projektion einer modernen Kategorie auf eine altehrwürdige Religion?

Abdel-Samad: Natürlich kann man Mohammed und seine Zeit nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen, das wäre Unsinn. Allerdings ist seine Lehre nicht im 7. Jahrhundert geblieben, sondern wird vom politischen Islam in die Gegenwart geholt. Also ist sie auch eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts und man kann moderne Kategorien anwenden.

Aber anders als der Faschismus ist der Islam keineswegs nur kollektivistisch, wie Sie in Ihrem Buch behaupten. Im Gegenteil, er hat auch eine ausgesprochen individualistische Seite: Da wo der Mensch dem Göttlichen persönlich begegnet, da entstehen Intimität, Gewissen und Spiritualität.

Abdel-Samad: Das ist Sufismus – nicht der Islam. Im Arabischen gibt es das Wort Individuum klassischerweise nicht mal – das ist eine neue Wortschöpfung. Der Koran kennt auch nicht den einzelnen Gläubigen, sondern immer nur „die“ Gläubigen als Kollektiv.

Aber auch der Sufismus gehört zum Islam.

Abdel-Samad: Er ist eine Unterströmung, die sich vom politischen Islam befreit hat und stark von Hinduismus und christlicher Mystik beeinflußt ist. Das ist aber nicht der eigentliche Islam, wie er von Mohammed kommt. Und die Art, wie Sufis – oder auch Ahmadiyya und Alawiten – innerhalb des Islam unterdrückt werden, zeigt, daß es sich um isolierte Minderheiten handelt.

Was ist mit dem „Großen Dschihad“, der – anders als der „Kleine Dschihad“, der Krieg gegen die Ungläubigen – auf die innere Vervollkommnung des Menschen zielt. Ein sehr persönliches und humanes Konzept, das Ihrer Faschismus-Analogie widerspricht.

Abdel-Samad: Das ist jetzt typisch deutsche Islamwissenschaft: Da hat man irgendein Detail bei Mohammed ausgegraben und behauptet, alle Muslime denken so. Tun sie nicht! Für die ist klar: Dschihad, das ist Waffe in die Hand nehmen und Ungläubige umbringen – fertig! Ich habe jahrelang in Ägypten gelebt, kein Mensch hat je vom Großen Dschihad gesprochen. Darüber redet keiner, das wird nicht diskutiert, das spielt einfach keine Rolle. Doch hierzulande wird es der Öffentlichkeit gerne groß präsentiert.

Aber anders als der Faschismus predigt der Islam keineswegs Krieg als den eigentlichen Zustand, sondern bietet eine Friedensbotschaft für die ganze Welt.

Abdel-Samad: Ach ja? Die islamische Vorstellung von Frieden ist nicht die, zu koexistieren, sondern die Welt wenn nötig mit Gewalt zu islamisieren – dann herrscht Friede. Hier das „Haus des Islam“, wo in der Tat Friede sein soll. Aber alles, was nicht dazu gehört, gehört automatisch zum „Haus des Krieges“.

Allerdings gibt es im Islam anders als im Faschismus den Einsatz für die Schwachen.

Abdel-Samad: Ich negiere die soziale Seite des Islam keineswegs, aber sie folgt dem Prinzip der Solidarität in der eigenen Gemeinschaft. Die finden sie auch im Faschismus! Barmherzigkeit untereinander, aber knallhart gegen die anderen.

Knallhart? Juden und Christen wird ein gewisser Spielraum zugestanden.

Abdel-Samad: Ich bitte Sie! Wie ging Mohammed mit ihnen um?

Zunächst tolerant.

Abdel-Samad: Ja, als er noch keine Macht hatte. Und dann? Tatsächlich hat er die Arabische Halbinsel von Juden und Christen – zum Teil in Massakern – gesäubert. Das ist übrigens der Grund, warum sie heute dort keine angestammten Juden und Christen finden. Natürlich gab es später in der Geschichte die Einsicht islamischer Herrscher: „Was haben wir davon, wenn wir sie ermorden und vertreiben? Lassen wir sie Kopfsteuer bezahlen, das bringt mehr ein!“ So ist das entstanden, nicht durch Toleranz.

Es gab in der Geschichte des Islam Jahrhunderte des friedlichen, sogar fruchtbaren Zusammenlebens mit Juden und Christen.

Abdel-Samad: Ja, und zwar dort, wo die Scharia keine Rolle spielte – aber nie in Mekka und Medina, wo das Herz des Islam schlägt. Es gab das zeitweilig in Bagdad, Damaskus, Kairo oder Córdoba, als dort auch Alkohol getrunken und getanzt wurde, als dort häretische, erotische – sogar homosexuelle – Literatur blühte. Sprich, als dort die eigentlichen Gesetze des Islam außer Kraft waren und der Pragmatismus der Moslems dominierte. Doch als dann der Koran wieder verbindlich wurde, brach diese ganze Blüte zusammen.

Dennoch wird diese Epoche heute als die große Leistung des Islam gefeiert.

Abdel-Samad: Wäre das tatsächlich die Leistung des Islam gewesen, dann wären auch Mekka und Medina Städte des Wissens, der Kultur und des friedlichen Zusammenlebens gewesen. Aber das waren sie nicht. Bis heute dürfen Nichtmuslime dort nicht einmal den Boden betreten.

Trotzdem gehört doch auch diese Epoche zum Islam.

Abdel-Samad: Geschichtlich ja, aber inhaltlich? Dort hat sich die Kultur der Moslems zeitweilig geöffnet – trotz des Islam –, weil dort auch noch das Erbe vorheriger Kulturen wirkte.

Ausdrücklich nehmen Sie in Ihrem Buch die Mehrheit der Moslems in Schutz.

Abdel-Samad: Die Mehrheit der Muslime ist friedlich, ja.

Ihre Inschutznahme ist aber doch nur eine scheinbare, denn auch ihnen unterstellen Sie, eine faschistische Kultur zu haben.

Abdel-Samad: Nur dann, wenn sie dem politischen Islam anhängen. Das tut die Mehrheit nicht, aber eine starke Minderheit. Und sie ist stark genug, um die islamische Welt zu spalten und Europa zu bedrohen. Vor allem, wenn Sie sich die Dynamik vergegenwärtigen: In zwanzig Jahren werden wir Europäer etwa vier Prozent der Erdbevölkerung ausmachen, aber etwa 20 bis 25 Prozent des Weltvermögens besitzen. Die islamische Welt wird dann etwa 25 bis 30 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, die nicht einmal über vier Prozent des Weltvermögens verfügen. Können Sie sich vorstellen, welchen Humus diese Mischung aus Bevölkerungsexplosion, Armut und Arbeitslosigkeit für den Islamismus darstellt?

Heißt das, die islamische Einwanderung erweist sich für Europa als Fehler?

Abdel-Samad: Nicht per se, es kommt darauf an welche. Europa braucht qualifizierte Einwanderer.

Es geht nicht um einzelne Einwanderer, sondern um die Frage nach der Auswirkung der Einwanderung der islamischen Kultur nach Europa.

Abdel-Samad: Das ist nicht die Frage, denn die Einwanderer werden kommen – auch die, die Europa nicht brauchen kann, für die wir gar keine Kapazitäten haben. Ich sage voraus, daß der schiere Druck dazu führt, daß sie kommen. Die Krim- und Ukraine-Krise ist Peanuts gegen das, was uns dann erwartet!

Wie gefährlich ist der Islamismus für Deutschland?

Abdel-Samad: Sehr gefährlich, schon wegen der Bedrohung durch Terror – und lassen Sie sich nicht davon blenden, daß bisher alle Anschläge bei uns vereitelt wurden. Wir befinden uns in der Inkubationszeit, und die Bombe tickt. Die Zahl der radikalen Moslems in Europa ist seit 2001 etwa um das Zehnfache gestiegen. Als noch gefährlicher aber könnte sich erweisen, daß der Islamismus immer mehr junge Schüler hierzulande beeinflußt und von der deutschen Gesellschaft abspaltet. Es droht uns eine ganze Generation junger Muslime verlorenzugehen, wenn man nichts gegen den Islamismus unternimmt. Die Deutschen begegnen dem Problem gerne mit der Haltung, jeder solle doch nach seiner Façon selig werden. Sie werden aber nicht selig werden, wenn ihr ihnen die Freiheit dazu gebt, sondern sie werden euch hassen.

Sie sprechen von Bürgerkrieg?

Abdel-Samad: Ich benutze diesen Begriff nicht, aber Sie können es sich selbst ausmalen. Es ist alles möglich, wir wissen es nicht. Die Zahlen jedenfalls werden enorm sein, gar kein Vergleich etwa mit dem deutschen Rechtsextremismus.

Also hat die rechte Pro-Bewegung recht, die gegen die Islamisierung kämpft?

Abdel-Samad: Ich habe mich mit denen nicht auseinandergesetzt, aber jede Sorge über Islamisierung ist berechtigt.

Wollen Sie statt „Kampf gegen Rechts“ einen „Kampf gegen den Islam“?

Abdel-Samad: Nicht gegen den Islam, gegen den politischen Islam.

Aber Sie argumentieren doch, der Islam an sich sei faschistisch?

Abdel-Samad: Er ist aber auch eine Religion, und die kann man nicht verbieten. Bisher wird der politische Islam unter dem Deckmäntelchen der Religion mittoleriert – das ist es, was aufhören muß.

Geben Sie mit Ihrer These nicht Geert Wilders und „Politically Incorrect“ recht, die dafür als rechtsradikal gelten?

Abdel-Samad: Ich weiß nicht, was diese Leute genau vertreten. Aber ich bin ich – nicht Geert Wilders! Ich bin kein Populist, kein Krawallmacher, sondern betreibe humanistische Religionskritik.

In Ihrem Buch bedauern Sie, daß Sarrazin nur ein Skandalon war, es aber versäumt wurde, seine Inhalte zu diskutieren.

Abdel-Samad: Ich teile nicht Sarrazins Schlußfolgerungen, sehr wohl aber seine Diagnose. Ich bin ihm dankbar, daß er auf die Mißstände aufmerksam gemacht hat. Ich halte ihn weder für einen Islamhasser noch für einen Rassisten, genausowenig wie Akif Pirinçci, dessen Buch jetzt auf die gleiche Weise diskutiert wird: Hui oder Pfui, statt sich mit den Thesen zu beschäftigen. Dann würde man vielleicht merken, worum es geht: daß eine Gesellschaft kein Multikulti-Mischmasch sein kann, sondern Vielfalt nur funktioniert, wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt.

 

Hamed Abdel-Samad, erste Aufmerksamkeit erlangte der Politologe mit seinen Büchern „Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland“ (2009) und „Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose“ (2010). Gleichzeitig wurde er als Partner Henryk M. Broders in der ARD-Sonntagabendsendung „Entweder Broder. Die Deutschland-Safari“ bekannt. Geboren 1972 in Ägypten, wandte er sich als junger Mann zunächst der Bewegung der Muslimbrüder zu, brach dann aber mit dem Islamismu und wandelte sich zum Islamkritiker. Folge war eine Fatwa gegen ihn. 1995 wanderte er nach Deutschland aus. 2011 reiste er nach Ägypten um an der Tahrir-Revolution teilzunehmen, was ihm hierzulande erhebliche Medienaufmerksamkeit einbrachte. Dem Thema widmete er auch sein Buch: „Krieg oder Frieden. Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“ (2011). Ein Auftritt in Ägypten 2013 löste die aktuellen Todesdrohungen gegen ihn aus. Dort hatte er die These seines jetzt erschienenen Buches „Der islamische Faschismus. Eine Analyse“ vorgetragen. Abdel-Samad steht seitdem unter Polizeischutz.

Foto: Publizist Abdel-Samad: „Viele deutsche Islamwissenschaftler versuchen das Image des Islam aufzupolieren. Das führt zu der Lüge, Islam und Islamismus hätten nichts miteinander zu tun.“

 

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