© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/14 / 25. April 2014

Blutspuren der Terrorsekte
Nigeria: Die Offensive der radikalislamischen Boko Haram setzt die Regierung unter Zugzwang
Marc Zöllner

Es ist eine der blutigsten Anschlagsserien seit seiner Unabhängigkeit, die Nigeria in Atem hält. Erst zündeten Unbekannte in der Hauptstadt Abuja eine Autobombe. Über 71 Menschen, so die Regierung, seien dabei ums Leben gekommen. Die Opferzahl dürfte jedoch um ein Vielfaches höher liegen. Allein die Krankenhäuser der Region meldeten rund 200 Tote. Nur einen Tag später drangen Unbekannte in das Internat einer Mädchenschule im Nordosten des Landes ein. Sie erschossen einen Soldaten und zwangen die Mädchen, in bereitstehende Lastkraftwagen zu steigen.

Die hohe Frequenz der Anschläge auf die zentralen Einrichtungen des Staates gilt als Signal der Terrorgruppe Boko Haram, noch lange am Ende zu sein. Zwar verkündete Präsident Goodluck Jonathan vor Monaten ein nahes Ende des blutigen Konflikts mit den radikalen Islamisten und verwies immer wieder auf Erfolge der Armee bei ihren Vorstößen ins Hinterland der nördlichen Landesteile Kano und Borno.

Auch konnten anschließende Gegenaktionen der Islamisten immer effektiver zurückgeschlagen werden. So starben über 200 Anhänger der militanten Bewegung Mitte März in Feuergefechten mit der Armee. Hunderte Bewaffnete der Boko Haram hatten damals versucht, ihre mutmaßlichen Sympathisanten aus der Kaserne von Maiduguri zu befreien. Ihr Angriff schlug jedoch fehl. Die Truppen Boko Harams wurden zwischen den Fronten der Armee sowie der regierungsnahen örtlichen Miliz „Civilian Joint Task Force“ zerrieben. Etliche Islamisten wurden den Regierungstruppen übergeben oder von Angehörigen der Miliz aus Rache direkt vor Ort gelyncht.

Ihre Niederlage in der Schlacht von Maiduguri muß der Boko Haram besonders schwer im Magen gelegen haben. Bis zum gewaltsamen Tod ihres Gründers Ustaz Mohammed Yusuf im Juli 2009 galt diese Stadt als Zentrale der bis dahin als weltabgewandt, jedoch kaum als militant bekannten Sekte. Seit der Vertreibung aus ihrer Hochburg im selben Jahr bekämpft sie den Staat und die Gesellschaft Nigerias jedoch mit immer extremeren Methoden. Vor allem Angriffe auf Angehörige der christlichen Minderheit im Norden, der Boko Haram im Dezember 2010 den Krieg erklärt hatte, sowie die Brandschatzung katholischer Kirchen mehren sich.

Schwer zugängliche Boko-Ausbildungslager

Immer öfter werden dabei ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, so wie zuletzt im Februar das kleine, christlich geprägte Städtchen Izghe. Anhänger der Terrorsekte gingen dort nachts von Haus zu Haus, erschossen 107 Einwohner. Das Gros der Opfer Boko Harams, welche vorgibt, für einen radikalislamischen Staat nach streng wahabitischer Auslegung zu kämpfen, sind selbst Moslems. Achtzig Tote forderte allein ein Angriff auf die Stadt Bama.

Die Methoden Boko Harams ähneln dabei immer mehr jenen der Terrorgruppen Zentralafrikas, allen voran der seit drei Jahrzehnten agierenden Lord’s Resistance Army. Knaben werden entführt, um zu Kindersoldaten ausgebildet zu werden. Mädchen verschleppt, um anschließend als Zwangsprostituierte gehandelt oder an altgediente Mitglieder verheiratet zu werden.

Schon lange hat Boko Haram seine Ausbildungslager weit ins undurchdringliche nördliche Hinterland verlegt. Dabei kommt die Größe Nigerias den Islamisten zugute. Der Aktionsradius der wenigen tausend Kämpfer erstreckt sich über eine Fläche von der Größe Großbritanniens. Flache Hierarchien sowie das gegenseitige Mißtrauen der Aktionszellen untereinander verhinderten bislang das Eindringen von Informanten des nigerianischen Geheimdienstes.

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